Wie hast du Carlotta kennengelernt?
Carlotta bin ich zum ersten Mal persönlich in einem Livemusikclub begegnet. Sie hat mich nach einem Konzert mit meiner Band um ein gemeinsames Foto mit dem Smartphone gebeten. Dieses Foto haben wir heute noch und es ist für mich gar nicht mehr vorstellbar, dass Carlotta mir mal fremd gewesen sein soll. Später hat sie uns gemeinsam mit ihrem Mann und ein paar Freunden im Proberaum besucht, und es entwickelte sich eine Freundschaft.
Wie hast du von Carlottas Geschichte erfahren?
Carlotta hat mir vor dem ersten geplanten Treffen mit ihr vorsorglich von ihren diversen möglichen Persönlichkeiten erzählt und wie sich das äußern kann, wenn eine der Persönlichkeiten zum Vorschein kommt. Sie war dabei sehr ehrlich und direkt. Tatsächlich hatte ich bis zu diesem Moment keine Berührungspunkte mit dieser Form der psychischen Erkrankung gehabt, und Carlotta hat mich vollumfänglich „geschult“, so könnte man es am besten beschreiben, mit allen Fachbegriffen und Links zu verschiedenen Aufklärungsseiten im Internet. Später hat sie mir auch davon berichtet, dass sie plant, ein Buch zu schreiben für Menschen mit derselben Erkrankung und vielleicht auch für deren Angehörige. Bis heute bin ich mir sicher, dass ich nur einen Bruchteil ihrer Lebensgeschichte kenne, u.a. auch deshalb, weil sie mir den in Arbeit befindlichen Roman per Mail zugeschickt hat, und ich ihn bis heute nicht bis zum Ende durchgelesen habe. Es ist nicht so, dass es mich nicht interessieren würde, aber ich vermute, es war eine Art Schutz, den ich aufgebaut habe. Mir ist es lieber, Carlotta so wahrzunehmen, wie sie gerade in dem Augenblick ist, in dem ich das Glück hatte, mit ihr zusammen sein zu dürfen.
Wie hast du Carlotta erlebt?
Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich persönlich keinen anderen Menschen kenne, der so aufrichtig ist wie Carlotta. Sie ist dabei sehr direkt, aber nie verletzend. Zumindest war sie es mir gegenüber nie. Ich habe es nur einmal erlebt bzw. bemerkt, dass eine andere Persönlichkeit sich in den Vordergrund gedrängt hat, und das war an einem Abend im Proberaum. Ich vermute, da wir uns alle noch nicht so gut kannten, dass es für sie damals minimal Stress bedeutet hatte und die Musik war auch recht laut, und eventuell war sie auch positiv aufgeregt. Es war die kindliche Carlotta, die kichert und eine andere Stimmlage hat. Aber es hat mich nicht gestört, und hätte sie mir davon zuvor nichts erzählt, hätte ich es vielleicht gar nicht bemerkt.
Was würdest du über sie beschreibend sagen?
Bei Carlotta weiß man immer, woran man ist. Es gibt keinen Grund für Spekulationen, weil alles klar kommuniziert und geplant wird. An das Planen einer ganz normalen Verabredung musste ich mich anfangs gewöhnen, weil diese Planungen recht detailliert ausfallen. Dabei bleiben natürlich große Überraschungen eher die Ausnahme. Ich kenne auch niemand anderen in meinem persönlichen Umfeld, der permanent so viel an sich gearbeitet hat, vermutlich auch arbeiten musste, um Krisen zu meistern. Und ich bin mir sicher, dass eben schon gewöhnliche Alltagssituationen unter gewissen Umständen kleine Krisen heraufbeschwören konnten. Ich habe sehr oft von ihren Kenntnissen aus den zahlreichen Therapien profitiert. Sie kann den „Stoff“ verständlich und gradlinig vermitteln. In diesen Gesprächen bin ich oft Schülerin und sie die freundlich kompetente Lehrerin. Wir können uns monatelang nicht gesehen haben, ohne dass es ins Gewicht fällt. Wir knüpfen einfach da an, wo wir seinerzeit aufgehört haben. Das nennt man vermutlich Freundschaft. Ich war nie gut darin, Freundschaften zu schließen und zu pflegen. Carlotta hat es mir leicht gemacht, sie ins Herz zu schließen. Im Laufe der Jahre wirkt sie auf mich seelisch immer stabiler, was sicher ein Ergebnis ihrer ständigen Arbeit an sich selbst ist. Carlotta bestätigt für mich die Ansicht, dass Menschen, die viele Schicksalsschläge erlitten haben, oft die besseren Menschen sind. Sie ist keine Spur oberflächlich, immer an ihren Mitmenschen interessiert und bringt dieses Interesse auch zum Ausdruck. Aus Gesprächen mit ihr kann man lernen, wenn man es zulässt. Hin und wieder kommt mir der Gedanke, dass manches aus meiner Sicht vielleicht „übertherapiert“ wurde, aber wer bin ich, das beurteilen zu können? Aus Erfahrungen mit anderen psychischen Problemen aber auch eigenen körperlichen Erkrankungen weiß ich, dass oft nur Gleichgesinnte oder Schicksalsgenossen nachvollziehen können, was das richtige Maß der Behandlung angeht. Carlotta hat die gesundheitlichen Themen nie in den Vordergrund gestellt. Ich vermute, es fällt ihr leichter, mit anderen Betroffenen darüber zu sprechen. Man spricht dieselbe Sprache, muss nicht zu viel erklären. Das kenne ich selbst sehr gut.
Gibt es spezielle Erinnerungen, die du an Carlotta hast und mit uns teilen möchtest?
Besonders gern erinnere ich mich an unsere Ausflüge mit der gesamten lichtscheuen Clique zum MPS (Mittelalter Phantasie Spectaculum), vielleicht weil das immer zu meinem Geburtstag passierte und wir zu dieser Gelegenheit fast alle zusammen waren. Dass ausgerechnet beim letzten gemeinsamen MPS die ersten Anzeichen – sprich Schmerzen – für mich sichtbar und spürbar machten, dass etwas ernsthaft nicht stimmt, überschattet diese schönen Erinnerungen sicherlich schon heute, aber die ersten Treffen beim MPS kann uns niemand mehr nehmen. Diese Erinnerung bleibt. Gern erinnere ich mich daran, als wir Carlotta und Torge auf dem Campingplatz in Aschau besucht haben, gemütlich in der Natur, mit dem kleinen Familienmitglied auf vier Beinen: Henry. Sehe ich Carlotta vor mir, sehe ich sie oft, beim Kuscheln mit dem kleinen knuffigen Henry vor meinen inneren Auge. Und auch wenn ich bemüht war, all diese Zeilen möglichst sachlich vorzutragen, muss ich zugeben, dass ich bei jedem Absatz mit den Tränen gekämpft habe. Sehr gefreut habe ich mich, dass Carlotta erst kürzlich mit Torge und Henry Urlaub machen konnte und ich aus der Ferne die Fotos und Filme sehen durfte, die ihre Freude widerspiegeln, mit dem Pferd ins Wasser und in den Sonnenuntergang hinein reiten zu dürfen.
Möchtest du noch etwas über Carlotta sagen?
Die Diagnose Krebs hat mich schwer getroffen. Mir kommt es so vor, als wäre ich betroffener als sie selbst. Sie wirkt so tough und zeigt auch hier wieder, wie gut sie darin ist, Krisen zu meistern. Natürlich wird es die dunkelsten Momente in dieser Zeit geben, aber ich bin mir sicher, dass sie die Momente im Licht zu genießen versteht, seit nicht gewiss ist, wieviel Zeit noch bleibt. Auch dabei kann ich wieder viel von ihr lernen. Ich würde ihr wünschen, dass sie in ihrem Leben nicht so viele Krisen hätte bewältigen müssen. Manchmal glaube ich, sie hat mir diese Fragen gestellt, um mich zärtlich zu zwingen, noch zu ihren Lebzeiten über sie nachzudenken, und nicht erst dann, wenn ich sie im RuheForst an einem Baum besuchen werde. Und natürlich hoffe ich bis zuletzt, dass es doch ein Wunder gibt.