2018 wurde ich, aufgrund personeller Veränderungen, innerhalb unseres Teams zu Carlottas ambulanter Betreuerin.
Eine von mir sehr geschätzte Kollegin traf damals die Entscheidung für eine Selbstständigkeit und verließ die Einrichtung.
Ich kannte Carlotta zwar aus einer etwas länger zurückliegenden Vertretungssituation, war aber sehr erstaunt, als meine Kollegin mich fragte, ob ich mir vorstellen könne, die Betreuung von Carlotta zu übernehmen. Es sei Carlottas Wunsch. und so begann mit einer anderen Kollegin, die zwischenzeitlich die Vertretung übernommen hatte, die Doppelbetreuung.
Meine Bedenken waren zwar groß, aber mir war auch bewusst, dass diese „Herausforderung“ ein wichtiger Schritt auf meinem Lebensweg sein würde – nicht nur auf meinem beruflichen.
Der Beginn unseres gemeinsamen Weges gestaltete sich recht holprig. Ich hatte das Gefühl, nein es war ein Fakt, dass ich in riesige Fußstapfen trat, denen ich meinte, einfach nicht gerecht werden zu können. So waren die ersten Treffen von extremer Unsicherheit meinerseits und der Angst, etwas falsch zu machen, geprägt.
Meine Kollegin hatte so großartige Arbeit geleistet und jetzt kam ich und alles wäre – so meine schlimmste Befürchtung – wieder dahin, ich hätte versagt und Carlotta in eine Krise gestürzt. Wie anmaßend von mir, zu denken, so eine Macht zu haben…
Carlotta war natürlich schon so stabil, konnte so gut für sich sorgen, dass sie mich letztendlich mit durch diese erste Zeit trug. Sie durchschaute sofort, wie ich ticke, und spürte meine Unsicherheiten. Durch ihre Klarheit und Fähigkeit Dinge, die nicht stimmig sind sofort anzusprechen, konnte ich mich schrittweise entspannen. Carlotta machte zwar mitunter einen genervten Eindruck, aber ihr Alltagsteam hatte alles gut im Griff und sie bemühte sich sehr, mir den Einstieg in ihr System zu erleichtern.
Als sehr hilfreich habe ich einen gemeinsamen Termin bei ihrem Psychotherapeuten empfunden. Stück für Stück durfte ich mehr Einblick gewinnen, Carlottas bedrohliche Vergangenheit – ich durfte ihr Buch lesen und viele Fragen stellen – rückte in den Hintergrund. Es ging um die toughe, junge Frau, die mit einer unglaublichen Zähigkeit und Stärke den Kampf aufgenommen hatte und noch viel Schönes vom Leben erwartete.
So habe ich Carlotta von Anfang an erlebt: mit einem unglaublichen Willen, es „den Tätern zu zeigen“ und ein gutes, zufriedenes und glückliches Leben mit ihrer kleinen Familie zu führen.
Ja und dann kam wie aus dem Nichts ihre schwere körperliche Erkrankung. Es berührt mich zutiefst, macht mich demütig und manches Mal einfach nur sprachlos, dass ich Carlotta in dieser Lebensphase begleiten darf. Sie ist für mich ein unglaubliches Vorbild, in ihrem Umgang mit der Endlichkeit des Lebens, mit der Wertschätzung, die sie jedem Tag entgegenbringt, trotz manchmal schier unerträglicher Schmerzen und Einschränkungen und der tiefen Dankbarkeit für die guten Dinge und die Unterstützung, die ihr – verdientermaßen – zuteil wird.
Auch jetzt kämpft Carlotta weiter und will noch ganz viel vom Leben: schöne Momente mit ihrer kleinen Familie, aber auch die Möglichkeit andere zu unterstützen und an ihren Erfahrungen teilhaben zu lassen. Dies ist für mich wirklich die bemerkenswerteste Gabe von Carlotta. Sie hat immer alle und alles im Blick und möchte, dass ihr immenses Leid etwas Gutes in der Welt bewirkt und sie Zeichen setzt.
Besonders in Erinnerung bleiben werden mir die vielen emotionalen Momente, in denen wir gemeinsam geweint, aber auch aus tiefstem Herzen gelacht haben, manchmal beinahe übergangslos.
Wie sagte Carlotta auf einer Fahrt zur Therapie so schön: sie hat die Prognose akzeptiert, glaubt aber an Wunder.
Carlotta ist ein Mensch der Spuren hinterlässt.