Ich habe als Psychoonkologin Carlotta & Co im Krankenhaus kennengelernt. Was wusste ich: … eine so junge Frau mit einem Magenkarzinom und psychischer Erkrankung…
Wen ich antraf war eine so junge, schwer kranke Frau, zu der ich mich ans Bett setzte. Ich war von ihr eingeladen, in ihre Nähe eintauchen, und befand mich – im Gegensatz zu ihrem schwer gebeutelten Körper – in einer Aura der Ruhe, Klarheit, Festigkeit, Intelligenz, Offenheit. Ihr Blick war direkt – neugierig, liebevoll, forschend. Ihrem tiefen Blick entgeht zu 100 % nichts – sie durchschaut, erkennt – ihr kann man nichts vormachen, ohne dass ich mich unangenehm fühle, als würde sie mich nicht bewerten. Ihre Worte beschrieben erst ihren momentanen körperlichen und emotionalen Zustand. Ich brauche nicht vorsichtig zu sein, denn sie ist voll informiert und geht fast erschreckend offen mit ihrer Erkrankung um. Sie wirkte so gefasst und aufgeräumt, dass man meinen konnte – „na da unterdrückt ja jemand seine Gefühle, als ob sie über jemand Anderen redet…“ aber so war es nicht – Carlotta & Co waren bei sich und in ihrem Gefühl. Die Vorinformation der psychischen Erkrankung hatte ich vergessen. Als wir uns noch einmal zu einer Übung trafen, erzählte sie mir etwas von ihrer nicht vorhandenen Kindheit, ihrem erlittenen Martyrium . Allein als Zuhörerin schaltet man instinktiv die eigenen Spiegelneuronen aus, um nicht in diesen schwarzen, grauenvollen Sumpf hinabgezogen zu werden der, sollte man ihn voll in der Vorstellung und im eigenen Herzen zulassen, der Weg zurück nach oben ins Licht, in den Glauben an das Menschliche, kaum möglich wäre. Wie erst sollte es einem Kind ergehen, die dieses überlebt hat. Carlotta & Co sind nicht krank – ihre Umgebung, die sie behüten, beschützen, unterstützen, ihr Wurzeln und Flügel geben sollte, ist krank. Aber sie ist nicht nur Überlebende, sie hat sich selbst befreit. Sie hat die innere Stärke gehabt, sich auf ihren eigenen Weg zu begeben. Wie hat sie es nur geschafft, sich diesen Kern zu bewahren? Wie und wo hat sie ihren so wundervollen, zauberhaften Kern versteckt, so dass ihn niemand finden und zerstören konnte… und jetzt das?
Magenkarzinom! Magenkarzinom bedeutet „das eigene Leben verdauen“. Freiheit und Eigenliebe. Wir sind geneigt, von der Ungerechtigkeit des Lebens zu sprechen, aber ist es das und hilft das weiter?
Ich sehe Carlotta & Co nach längerer Zeit wieder. Betrachtet man sie von außen, ist es erschreckend, wie ihr Körper schwindet. Betrachte ich sie von innen, scheint sie diametral zu wachsen. Ich habe das Gefühl: Sie ist bei sich angekommen.
Ich bekomme ein Foto geschickt und sehe Carlotta & Co auf einem schwarzen Pferd im Sonnenuntergang. Wow!
Ist das das Leben, der Sinn, den wir suchen? Einen Augenblick im Leben, bei dem wir ganz bei uns zu Hause sind, im stillen, tiefen Glück? Ist es das? Wir können das, was war, nicht verändern – es ist passiert. Wir können auch das, was kommt, nicht verhindern. Zählt der Augenblick? Ist es dann gut, wenn wir diesen einen Augenblick im Licht haben? Einem Menschen, der so viel Leid erlebt hat, wünscht man tausendfach lichte, glückliche, kindlich unbeschwerte leichte Momente. Man wünscht – wenn er in das tiefste Schwarz blickt, den furchtbarsten Schatten erleiden musste, dass ihm die andere Seite eröffnet wird – das hellste Licht, das übersprudelnde Glück.
Carlotta & Co haben sich ihrem Schicksal gestellt und es geschafft, eine Tür zu ihrem Inneren offen zu lassen, so dass nicht Angst und Bitterkeit und Misstrauen sie leiten. Es beeindruckt mich zutiefst, dass Carlotta & Co nicht flattern, wackeln, sondern einen festen Standpunkt haben und diesen auch deutlich vertreten. Sie kennen sich, ihre Möglichkeiten und schützen ihre Grenzen – wer tut das schon???
Was zählt am Ende des Lebens? „Mensch erkenne Dich selbst“, wie die Griechen einst sagten. Es zählt, ob wir unsere Lebensaufgaben gelöst haben.
Carlotta & Co haben eine fast unerträgliche „Aufgabe“ bekommen, angenommen und gemeistert. Sie ist die Meisterin ihres Lebens und ich wünsche ihr, dass sie erfährt, dass ihre innerste, bleibende, unendlich wunderbare Energie „Eins“ ist und vollkommen heil.