Wie lerntest du Carlotta & Co kennen?
Ich habe Carlotta zum ersten Mal auf einem Stadtfest hier im Ort gesehen. Sie war mit ein paar damaligen Bekannten dort.
Da sie erfuhr, dass ich tätowiere, kamen wir ins Gespräch, denn sie plante noch das eine oder andere Tattoo. Darüber unterhielten wir uns ein wenig.
An dem Abend merkte ich schon, dass Carlotta ein offener Mensch ist. Sie macht es einem leicht, mit ihr ins Gespräch zu kommen. Da wir eine relativ große Gruppe waren, waren es aber keine langen Gespräche, sondern immer mal kurze Wortwechsel.
Wie entwickelte sich der Kontakt?
Über die gemeinsamen Bekannten machte Carlotta einen Tattootermin bei mir aus. Beim ersten Mal kam sie in Begleitung von anderen. Sie bekam von mir ein Tattoo, wobei wir uns schon gut unterhalten konnten. Ich war erstaunt über ihre Offenheit und das mir entgegengebrachte Vertrauen, da sie mir doch recht viel über sich und ihre Geschichte erzählte.
Ein gemeinsamer Bekannter, den ich zu der Zeit täglich sah, weil wir beide die gleiche Ausbildung machten, erzählte mir im Vorfeld schon einiges über Carlotta. Sie hatte ihm und seiner Frau vieles erzählt. Leider wusste sie nicht, dass diese „Freunde“ nicht vertrauenswürdig waren, und mit dem Gehörten „hausieren gingen“, in ausgeschmückter, übertriebener Form. Deshalb nahm ich die Gelegenheit wahr, Carlotta davor zu warnen, den Leuten aus diesem Umfeld zu viel Persönliches anzuvertrauen, vor allem, weil es bei ihr ja auch um ihre Sicherheit ging.
Ich habe keine Ahnung, ob diese Warnung der ausschlaggebende Punkt war, der sie dazu brachte, mir zu vertrauen. Vielleicht hatte sie auch andere Gründe. Aber wir unterhielten uns viel und auch recht tief. Am Ende des Termins fragte sie mich, ob sie mich ab und zu mal besuchen dürfte, nicht als Tattookundin, sondern einfach so. Da sie mir sehr sympathisch war, hatte ich nichts dagegen.
So kam es, dass Carlotta mich so ziemlich täglich besuchte. Sie war von Anfang an eine Person, in deren Nähe ich mich wohl fühlte. Wir haben uns immer gut unterhalten und verstanden. Sie erzählte mir viel über sich, und ich erzählte ihr meine Geschichte.
Schon nach kurzer Zeit bemerkten wir beide, dass da noch mehr war. Da ich aber noch in einer Beziehung war, wurde das vorerst nicht thematisiert. Als Carlotta es irgendwann doch mal aussprach war dann klar, ich beende meine Beziehung, um mit Carlotta zusammen sein zu können. Von da an kam sie mich nicht mehr nur täglich besuchen, sondern blieb eigentlich so gut wie dauerhaft bei mir. Ins geschlossene Wohnheim ging sie von da an meist nur noch, um ihre Medikamente zu holen. Man könnte schon fast sagen, inoffiziell wohnten wir vom ersten Tag unserer Beziehung zusammen.
Wann erfuhrst du von Carlottas Geschichte?
Wie schon erwähnt, die ersten Sachen erfuhr ich schon beim ersten Tattootermin. Carlotta war/ist kein Mensch, der viel zurückhält. Jedenfalls nicht, wenn sie vertraut. Und mir schien sie von Anfang an zu vertrauen. Bei besagtem Termin erzählte sie mir von ihrer Diagnose, grob davon, dass sie Aussteigerin aus einer satanischen Sekte sei, dass sie deshalb in einem geschlossenen Wohnheim lebt. Wieviel genau ich an diesem Tag schon erfuhr kann ich heute nicht mehr sagen. Es war aber einiges.
Was dachtest du zu Anfang darüber?
Anfangs hat mich das alles ziemlich schockiert. Naja, im Grunde tut es das heute noch.
Ich habe niemals daran gezweifelt, dass alles, was sie mir erzählt hat, wahr ist, auch wenn vieles mein Vorstellungsvermögen überstiegen hat. Wenn man noch nie mit so einer Geschichte in Berührung gekommen ist und nicht weiß, dass es sowas gibt, dann ist das für den Laien erstmal schwer zu verstehen. Carlotta hat mir dabei aber sehr geholfen. Ich konnte alles fragen, auch wenn mir selbst vielleicht mal die Fragen etwas dumm oder unbeholfen vorkamen. Sie hat mir auch einige Videos auf YouTube empfohlen, die sich mit dem Thema DIS und ritueller Gewalt beschäftigen. So habe ich nach und nach gelernt zu verstehen. Unsere vertraute Basis, die wir ja von Beginn an hatten, hat das alles sehr erleichtert.
Wie entwickelte sich das? Ab wann hattest du Kontakt zu Innies? Wie war das am Anfang? Später?
Kontakt zu Innies hatte ich zum ersten Mal, als wir ein Paar geworden waren. In der ersten Nacht, die Carlotta und ich gemeinsam verbrachten, lernte ich Kaja kennen.
Wann genau sich die nächsten Innies zeigten, weiß ich heute leider nicht mehr. Aber ich hatte ziemlich schnell auch Kontakt zu Lina, die mich auch von Anfang an zu mögen schien.
Da bei uns sehr schnell das Thema aufkam, dass wir uns gemeinsam einen Hund holen wollten, gab es dann auch Kontakt zu Lara, die sich für Tiere verantwortlich fühlt. Sie kümmerte sich viel um meine Farbmäuse und meinen Hamster, die ich zu der Zeit hatte, und war von der Idee, einen Hund zu bekommen, einerseits begeistert, hatte andererseits aber Angst, dass ihr der Hund wieder weggenommen werden würde oder sie die Aufgabe nicht schaffen könnte. Ich denke aber, dass ich es ziemlich gut geschafft habe, die Bedenken kleiner zu machen und Vertrauen zu geben.
Gerade in der ersten gemeinsamen Zeit kamen immer mal Innies nach vorne. Viele wollten sicher nur mal den neuen Freund abchecken/kennen lernen. Gucken was ich für einer bin, ob man mit mir was anfangen kann, wie ich auf die verschiedenen Leute wohl reagiere… Rückwirkend denke ich, dass ich bestimmt ein bisschen „getestet“ wurde, was aber bei der Geschichte kein Wunder ist. Ich war ja anfangs auch selbst etwas unsicher, ob ich alles richtig machen werde. Aber zum Glück hat es ja gut geklappt.
Wie konntest du mit der Geschichte von Carlotta umgehen?
Carlottas Geschichte hat mich schon sehr mitgenommen. Etwas anderes zu behaupten wäre Quatsch. Trotzdem habe ich in der ersten Zeit alles in mich aufgesaugt, habe mir alles erzählen lassen, immer nachgefragt, wollte alles wissen, auch wenn es schwer war. Ich wollte für Carlotta die „starke Schulter“ sein, an die sie sich anlehnen kann, an der sie alles rauslassen kann, die immer für sie da ist. Außerdem dachte ich, dass ich dadurch besser verstehen lerne.
Erst viel später habe ich festgestellt, dass ich so viel Details nicht ertrage, nicht aushalte. Als nach ca. zwei Jahren meine eigene Erkrankung ihre Aufmerksamkeit forderte, musste ich einsehen, dass ich nicht alles in mich aufsaugen kann, ohne dass es Konsequenzen hat. Wir einigten uns dann darauf, dass wir uns nicht mehr alles detailliert erzählen, sondern einander nur grob sagen, was gerade los ist. Jedenfalls wenn es sehr schwierige Themen betraf. Das funktioniert bis heute recht gut.
Welche Belastungen gab es?
Belastungen gab/gibt es natürlich auch.
Die Lebensgeschichte, das Wissen, was Carlotta alles durchmachen musste, zum Beispiel.
Krisen waren immer eine Belastung/Herausforderung. Wobei ich dazu sagen muss, Carlotta ist selbst in Krisen unglaublich zuverlässig. Man kann ihr vertrauen, dass sie weiß was sie braucht. Wenn sie in einer Krise sagt, sie müsse nicht in die Klinik, weil sie es auch so schafft, dann kann man darauf vertrauen, dass es auch so ist. Genauso sagt sie aber auch, wenn sie denkt, dass sie sicherheitshalber lieber in eine Klinik gehen möchte. Dennoch waren Krisenzeiten natürlich belastend. Und sei es nur, weil ich sehen musste, dass es ihr schlecht ging, nicht mal aus Angst, dass etwas passieren könnte.
Natürlich war auch eine Angst z.B. vor SVV sehr stark bei mir. Diesbezüglich musste ich auch erst mit der Zeit lernen zu vertrauen. Anfangs hatte ich sehr viel Angst, wenn Carlotta sagte, sie hätte Schneidedruck. Mittlerweile weiß ich aber, dass sie auch diese Situationen gut meistert. Der Druck, sich selbst zu verletzen/bestrafen, ist mit den Jahren zum Glück eh stetig weniger geworden.
Was stellte sich als problematisch heraus? Wie habt ihr darauf reagiert?
Diese Frage finde ich schwierig. In den vorigen Antworten kann man ja schon ein wenig rauslesen. Ich stufe aber wenig so hart ein, dass es ein riesiges Problem darstellt. Natürlich stößt man immer mal wieder an Grenzen, wenn man mit jemandem zusammenlebt, der so eine Geschichte hat.
Wie schon erwähnt, war es anfangs so, dass ich alles wissen wollte, jedes Erlebnis, alles angehört habe. Bis ich merkte, dass ich so viel Wissen gar nicht aushalte. Das war dann schon problematisch. Reagiert haben wir darauf, indem wir nicht mehr jedes Detail thematisiert haben. Ich musste erst lernen, auf mich selbst zu achten, mich auch mal abzugrenzen. Wie man erkennt, lag dieses Problem also eher bei mir, nicht bei Carlotta.
Wir mussten im Grunde gar nicht auf viel reagieren, da wir von Anfang an eine tolle Gesprächsbasis hatten und noch haben, so dass wenig danebengehen konnte.
Natürlich gibt es immer mal wieder Momente, in denen einen das alles überfordert. Man muss dann schauen woran es liegt, und nicht einfach die Flinte ins Korn werfen.
Im Bereich von Nähe und Zärtlichkeit gibt es bis heute Probleme. So, wie dieses Thema bei Opfern von Missbrauch negativ besetzt ist, ist das nicht verwunderlich. Hier ist die Lösung wohl so zu finden, dass man sich überlegen muss, was in einer Partnerschaft Priorität hat. Ich habe mich damit arrangiert, dass körperlich intime Momente selten sind. In einer stabilen Beziehung gibt es viele Momente, die intimer sind, auch ohne körperlich zu werden.
Was stellt sich aus deiner Sicht als sinnvoll dar in Beziehungen mit Menschen mit dissoziativer Identitätsstruktur? Worauf sollte man als Partner achten innerhalb der Beziehungsführung/ dem Partner gegenüber/sich selbst gegenüber?
Zuerst mal sollte man offen sein für Dinge, die das eigene Vorstellungsvermögen übersteigen. Man muss auch sehr achtsam sein. Es gibt viele Dinge, die man leicht falsch machen kann. Einfache Dinge, wie z.B. ein Kompliment, können nach hinten losgehen, weil man versehentlich Triggerworte benutzt hat. Man muss also mit der Zeit lernen, wo die Trigger sind.
Innerhalb der Beziehung sollte man viel Verständnis aufbringen. Es wird ganz sicher immer mal schwierige Zeiten geben, wenn in der Therapie an üblen Themen gearbeitet wird, wenn Erinnerungen hochkommen, zu bestimmten „Feiertagen“ usw… Aber das lässt sich bewältigen, und ist nicht so schlimm, wie es sich jetzt für einen Außenstehenden anhören mag, wenn man eine gute Basis in der Beziehung hat.
Als Partner ist es auch wichtig, Grenzen zu beachten, sowohl bei der Partnerin als auch bei sich selbst. Im Grunde ist das nicht anders als in allen anderen Beziehungen. Nur kann man hier durch die heftige Geschichte vielleicht schneller an seine Grenzen kommen.
Gibt es etwas, was du hier noch über Carlotta & Co mitteilen möchtest!?
Ich bin sehr glücklich und dankbar, einen Menschen wie Carlotta kennen gelernt zu haben und sie an meiner Seite zu haben.
Carlotta ist so eine starke und liebenswürdige Person. Es ist erstaunlich, wie sie sich so viel Gutes wie Liebe, Hoffnung, Lebensfreude erhalten konnte.
Auch wenn ihre Geschichte sehr krass ist und sehr erschüttert, möchte ich sagen: Seht Carlotta bloß nicht nur als Opfer an. Sie ist viel mehr als das. Ja, sie war/ist ein Opfer dieser schlimmen Taten. Aber sie hat sich klar entschieden, nicht das Leben eines Opfers zu führen. Im Gegenteil. Ich sehe in ihr eine Kämpferin, eine tolle Ehefrau, eine liebevolle Hundemama, eine Frau, die nie mit dem Mittelmaß zufrieden ist, sondern für das große Ziel kämpft. Sie hat so viel Hoffnung und Kampfgeist in sich, da wäre es nicht richtig, sie nur in die Opferrolle zu drücken. Heute ist sie Gestalterin ihres Lebens.
Was sind/waren Carlotta & Co für „ein“ Mensch?
Carlotta und Co sind ganz besonders. Carlotta gibt nie auf. Sie hat so viel durchgemacht, aber nie den Glauben daran verloren, ihr Ziel zu erreichen. Das ist eine Gabe, die wohl viele Menschen nicht besitzen. Sie arbeitet ständig weiter an sich, an ihrem Ziel.
Es gibt sicher nicht viele Leute, die so reflektiert sind und so hart an sich arbeiten. Dabei vergisst sie aber nie ihre Mitmenschen. Sie ist immer daran interessiert, dass es ihren Liebgewonnenen gut geht.
Ich würde sie als sehr fürsorglich beschreiben. Selbstkritisch, optimistisch, immer darauf bedacht, dass sie sich weiterentwickelt, und auch ihrem Umfeld hilft, sich zu reflektieren und voranzukommen.
Sie ist für mich die perfekte Partnerin an meiner Seite.