Weiter, weiter, weiter
Und es sollte sich leider auch nicht viel zum Besseren ändern.
Psychisch drückte dann auch noch sehr nach unten, dass die geplante und bereits gebuchte Schwedenreise mit Torge, Rike (als ärztliche Begleitung neben ihrer „privat schwesterlichen Begleitung“), Rikes Freund und Fiona wegen der Corona-Richtlinien ins Wasser fallen und storniert werden musste 🙁
Des Weiteren fiel der geplante Freundinnen-Wochenend-Urlaub weg wegen Beherbergungsverbot.
Und aus gleichem Grund ein Wochenende auf dem Pferde-Hof mit Insa.
Carlotta & Co fühlten sich nur noch zum gnadenlosen Funktionieren und Aushalten gezwungen. Sie selbst trieben sich mit strengem Regime vor sich her. Ausbrüche von geäußerter und zugelassener Schwäche gab es eher selten… Erlernt, war erlernt.
Umso mehr schmerzte nun das Wegfallen des Ausgleichs:
Sie formulierte es in ihrem Tagebuch so:
„Es geht uns ganz und gar nicht gut. Es ist eine Mischung aus Vielem.
Erstmal das Übelste ist, uns immer und immer wieder durch den Ekel vor dem einen Chemomittel quälen zu müssen, …und das Schlimmste dabei ist, dass es halt nicht sowas kurzfristiges ist wie eine Lungenentzündung zum Beispiel, wo man dann halt mal durch muss für eine gewisse Zeit mit krassen Behandlungen, ekligen Medis or whatever, und dann hat man das Ergebnis und ist gesund und frei.
NEIN!!! Es ist da, es bleibt da, Frage ist nur die Zeit… Das Ende ist nur im Ende für uns zu sehen.
Wir würden uns sooo gern eine Pause und etwas Schonung gönnen… aber wir funktionieren starr und gnadenlos, und so wird das mit Pause nichts. Dieses Kampfmuster lässt uns nicht los. Jahrzehnte lang erprobt und durchgezogen. Da fällt etwas Neues so schwer bzw. ist schier unmöglich. Obwohl wir uns das schon so manches Mal anders wünschen würden.
Da passiert und mischt sich so viel Altes mit rein in unserem „wie reagieren wir“. Das ist alles nicht so leicht zu durchblicken, gerade weil sich Altes und Neues so vermischt und dementsprechend auch alte und aktuelle Gefühle da sind. So manches Mal wird da was getriggert. Ganz sicher! Und das macht das echt schwierig.
Und es ist für uns erschwert durch erlernte Muster, mit etwas umzugehen. Ich denke da so an Stichworte wie: „ein lebenslanger Kampf“; immer schauen, was kommt von außen und darauf reagieren/sich anpassen/funktionieren und ja schön die Fassade oben halten. Keine Schwäche zeigen und zulassen.
Und dann war nach der letzten Chemo auch noch der HB (Hämoglobinwert) im Keller. Grad passend zu den kultischen Feiertagen brauchten wir dann 2 Bluttransfusionen. Megatrigger… der aber auch wieder unterging in dem MUSS. 🙁
Und zu allem obendrauf der Mist mit Corona und all dem, was nun wegfällt für uns. Es ist zum Verzweifeln.
Alles, was noch positiv gewesen wäre und wo ich und auch Torge uns Auftrieb erhofft hätten, fällt nun weg.
Und dann wurde alles noch viel schlimmer – nach der Chemogabe. Ich konnte den Druck, die Schmerzen, die Krämpfe, die Verdauung zum Schluss kaum noch ertragen. Ich konnte mich kaum noch bewegen, und atmen war sauschwer. Schmerzmittel halfen auch nur wenig. Ich hab dann am Sonntag auf Ibsens Notfallhandy angerufen, und habe einen Termin für Montag bekommen.
Er hat dann Ultraschall gemacht und eine Aszitespunktion angeboten, die ich dann auch gemacht habe.
Ich hatte so einen Schiss, wollte aber diese krassen Symptome loswerden.
Bei sowas hätte ich immer gerne Begleitung, aber Corona lässt sowas ja nicht zu.
Wenn ich mal bedenke, wie gut vorbereitet und begleitet vorher meine Arztbesuche aussahen, und nun sowas Krasses alleine…. Das alles ist so heftig, was Corona uns abverlangt.
Ich wette, da geht wieder so viel kaputt bei uns.
Zurück zur Punktion. Zuerst hatte er mit dem Ultraschallkopf geguckt, dann hat er angezeichnet, dann desinfiziert, steril abgeklebt, örtlich betäubt, mit nem Skalpell die Haut angeritzt, und dann mit ner echt dicken Nadel (wie so ne Stricknadel beim Rundstricken von Socken) durchgestochen. Puuh… das war echt schwer, da in all der Panik stillzuhalten. Aber als es dann gemacht war gings. Dann hieß es, eineinhalb Stunden still liegen, und die Aszites plätscherte so aus uns heraus, 5,1 Liter. Soooo viel. Es waren auch alle überrascht über diese große Menge.
Hinterher war mein Bauch wieder so flach und geschrumpft, sah fast aus wie eine Rosine.
Aber irgendwie mussten sich meine Organe dann wieder ordnen. Denn als ich mich aufsetzte, und auch jetzt oft noch, reißt es innerlich so, als wenn sich das erst wieder zurechtordnen muss.
Na gut, das war ja auch alles durch das Wasser wochenlang verschoben. Fühlt sich an wie ein krasser Muskelkater.“
An dem Wochenende, an dem eigentlich die Übernachtung auf dem Ferienhof für Carlotta & Co und Insa geplant war, was dann aber doch durch die Corona-Bestimmungen und das Beherbergungsverbot nicht erlaubt war, besuchte Insa Carlotta kurzer Hand zu Hause. Das war total toll. Insa aktivierte Carlotta & Co regelrecht. Sie gingen spazieren, machten schöne Fotos, kochten abends, auch wenn Carlotta nur zu einigen Bissen fähig war. Es tat einfach gut.
Kontroll-Termin
Nach der zwölften palliativen Chemotherapie erwarteten Carlotta & Co das geplante CT sehr.
Sie hatten leider wieder nur wenige gute Tage in der zweiten Woche nach der Chemo gehabt.
Die schlechten Tage hatten sich in der letzten Zeit gehäuft und das machte ein ungutes Gefühl bezüglich der zu erwartenden Ergebnisse.
Sie bemerkten einfach, dass alles fühlbar schlechter und schwerer wurde mit ihrem Körper, den Erholungszeiten zwischen den Therapien, und das, was vor einiger Zeit noch zumindest okay erledigt werden konnte, war nun oftmals schwer oder sogar zu viel. Sie machten sich großen Druck und waren oft unzufrieden „nicht genug zu tun, nichts zu schaffen“.
Ganz besonders viel stressten sie sich mit der Arbeit an der Website, neuem Buchtext und all dem, was noch auf der To-Do-Liste stand.
Der CT-Termin gestaltete sich, wie zu erwarten, als schwierig. Glücklicherweise durfte sie das Kontrastmittel mit ins Auto von Dagni nehmen, um dort ihre Portion zu schaffen. Sie hätte eigentlich eine viel größere Menge trinken müssen. Doch erstmal waren solch große Mengen, egal was an Flüssigkeit, schon sehr schwer bis unmöglich und dann war das auch noch das Kontrastmittel. 1. Ekelig 2. stellte sich nach kurzer Zeit Durchfall ein, und Carlotta musste rennen.
Das CT selbst stand dann dementsprechend ganz unter dem Stern: Achtung drohender, weitergehender Durchfall! Alles schnell, um möglichst nicht müssen zu müssen, während die Untersuchung lief.
Obwohl Carlotta & Co dann vor Abfahrt noch einmal das Klo der Praxis besucht hatten, musste bereits ein paar Minuten nach Verlassen der Stadt unter Hochdruck eine Tankstelle gefunden werden, die trotz Corona-Bedingungen bereit war, den Kloschlüssel herauszugeben.
Welch eine Entwürdigung und Scheißsituation – im wahrstes Sinne des Wortes!
Ein Therapiegespräch mit Herrn Willenbrink war sehr, sehr nötig zu dieser Zeit. Es tat Carlotta & Co gut mal alles rauszulassen. Sie konnten sogar etwas weinen.
Obwohl es sich einerseits nie genug anfühlte in Bezug auf Weinen und Schwäche zulassen und nach außen zeigen.
Andere Anteile aber bereits wieder beschimpften und drohten, dass es zu viel wäre.
Es gab so schwere und viele Themen zu dieser Zeit: Torges Depressionen, schwer Prioritäten zu setzen, schwer zu realisieren, dass die Symptome mehr wurden, auf die CT-Ergebnisse warten, Zeitdruck, Corona-Einschränkungen mit der Angst, es später nicht mehr zu schaffen, schlechter Schlaf und viele düstere Träume.
Die Ergebnisse des CTs waren dann leider so, dass Herr Ibsen empfahl, um an einigen Stellen etwas mehr Wirkung als mit der Folfiri allein zu erzielen, noch einen Wirkstoff namens Ramucirumab dazu zu nehmen.
Ramuzirumab ist ein Antikörper, der grob gesagt in die Blutversorgung und Blutgefäßbildung des Tumors eingreifen soll und diesen „austrocknet“.
Sie erhofften sich dadurch auch vielleicht eine Eindämmung der Aszites-Produktion, denn schon nach drei Wochen der vorherigen 5,1-Liter-Punktion hatten Carlotta & Co bereits wieder Aszitessymptome, so dass sie die erste Folfiri plus Ramucirumab-Gabe um eine Woche nach hinten verschoben, weil sie erneut eine entlastende Aszitespunktion machen lassen wollten.
Es war einen Monat vor Weihnachten. Sie und Torge wollten es sich richtig schön machen. Und das machten sie auch. Nichts typisch Weihnachtliches, sondern viele gemütliche Lichter, Kerzen und selbstgebackene Kekse. Es wurde regelrecht zelebriert, weil es das Wissen gab: Ihr letztes Weihnachten. Bewusst.
Gekoppelt mit der Aussage der Hausärztin „Bei anderen würde ich sagen, „Sei froh, wenn du noch einen schönen Frühling hast. Aber bei Dir und Deiner Motivation kann ich mir durchaus noch Weihnachten vorstellen.“, war es oft vom Gefühl her eine gruselige Geschichte,… irgendwie seltsam.
Besonders gefielen Carlotta & Co in diesem Jahr die Weihnachtswichtel. Sowohl große und kleine Anteile Carlottas versuchten, jede Möglichkeit zu nutzen, an neue, süße, witzige Exemplare zu kommen.
Auch Weihnachtskalender, die nie zuvor von Wert waren, wurden plötzlich wichtig. Es machte Spaß, liebe Menschen zu beschenken und zu überraschen.
Selbst Leonie wendete sich mutig an Insa und fragte sie vorsichtig, ob sie ihr auch einen Weihnachtskalender schenken könnte.
Die letzten guten Tage vor der dreizehnten Folfiri- und ersten Ramucirumab-Therapie nutzten Torge und Carlotta & Co nochmal zu einem wunderschönen Spaziergang am Wasser, kochten und machten sich einen gemütlichen Abend.
Und auch zu ihrem Lieblingsstrand ging es nochmal mit Ute.
Antikörpertherapie-Start
Ende November war es dann soweit: die dreizehnte Folfiri- und die erste Ramucirumab-Gabe standen an. Erst acht Tage später nach der Therapie waren Carlotta & Co fähig, überhaupt irgendetwas zu äußern. Vorher hatten die Chemo- und Antikörpertherapie sie so außer Gefecht gesetzt.
So konnte, sollte und durfte das natürlich nicht sein und Carlotta begann zu zweifeln, ob sie die Antikörpertherapie weiterführen oder abbrechen sollte. Doch noch ganz unter ihrem harten Regime geführt, ließen sie den Abbruch so „einfach“ nicht zu.
Sie schrieb in ihr Tagebuch:
„Die Antikörpertherapie zusätzlich zur Chemo war echt hart. Soooooooo dolle Nebenwirkungen… puuh.
Die ersten Tage konnte ich nur liegen und schlafen. So krass von der Energielosigkeit, Taubheit und fast schon Bewegungslosigkeit hatte ich es noch nie. Selbst das Gehirn und das Denken waren so lahm gelegt. Als hätte wer den Stecker gezogen.
Und nun geht’s zwar etwas besser von der Erschöpfung, aber die SCHMERZEN!!!!! Heftig, wirklich heftig!
Das sind zwar auch Nebenwirkungen – also die Schmerzen jetzt, in dieser Ausprägung – (steht zumindest so im Netz), aber das macht echt Angst, weil es sehr doll ist und oft Ausnahmezustände mit sich bringt. Das macht oft wirklich ohnmächtig, kontrolllos, und klaut mir das Vertrauen in die Situation und den Körper. Und DAS ist ja echt so eine Gefühlskombination, die erfahrungsgemäß echt tief stürzen lässt. Das macht doll Angst, und ich würde so gerne getröstet und gehalten werden.
Außerdem muss da irgendwie die Schmerzmedikation nochmal besprochen werden.
Wir werden diesmal nicht so wirklich wieder fit…also so gar nicht… nicht mal verzögert… sondern so richtig, richtig gar nicht. Das macht Angst und lässt nachdenklich werden. Ich hoffe, dass die Antikörpertherapie bald leichter wird. Herr Willenbrink hatte im Netz gelesen, dass oft die erste bis zweite Gabe schlimm ist, und es dann besser wird. Darauf hoffe ich. Sonst muss ich das abbrechen oder runterdosieren. Das sag ich jetzt so. Aber ob ich das dann wirklich entscheide, ist noch mal ne andere Sache.
Aber die vierzehnte Chemo plus zweite Ramoziromapgabe ziehe ich noch durch. Ich werde keine mögliche Hilfe verstreichen lassen und lassen dürfen. Innere Muster….
Die aktuellen Schmerzen und Gefühle Spielen wie ein Orchester Mit den alten Schmerzen und Gefühlen Eine Melodie des Grauens Dieser Sound lässt Bilder entstehen Die wir nicht mehr sehen wollten Aber aus denen es kein Erwachen und Entrinnen gibt |
Nachdem Carlotta & Co nur zwei relativ gute Tage hatten, stand auch schon die vierzehnte Chemo und zweite Ramucirumab-Gabe an. Sie hatten große Angst davor, und hätten viel lieber noch eine weitere Woche verschoben. Aber Herr Ibsen riet von einem Aufschub ab. Er meinte, gerade bei den ersten Gaben der Antikörper und ihrem Tumorstadium sollte man lieber die ersten Gaben im vierzehntägigen Rhythmus bleiben.
Carlotta entschied sich dann, wenigstens am Tag vor der Gabe noch eine Aszitespunktion rauszuschlagen. Nachdem wieder über 3 Liter Aszites abgelassen wurden, hoffte sie auf Erleichterung.
Doch mal wieder sollte es anders kommen, als Carlotta gehofft hatte.
Ausgelöst durch Chemo und Antikörpertherapie war die Zeit wieder eine sehr schwere.
Sie beschrieb es in einem sehr ausführlichen Tagebuch-Eintrag, als sie wieder fähig war irgendwas zu tun… dies aber auch in katastrophalem Zustand, folgender Maßen:
„Es ist eingetreten, was ich vermutet hatte, auch dieses Mal war es einfach sauscheiße und schmerzhaft. Zu Hause fast nicht mehr händelbar, und eine Mordsüberforderung für Torge und mich. Torge wollte uns schon recht zu Anfang ins Krankenhaus einliefern lassen. Aber dann haben wir noch Herrn Ibsen angerufen, und haben mit ihm die Medikation erhöht.
Wir haben Novalgin und Buscopan in der Dosierung ausgereizt, und zusätzlich ja auch noch das Buprenorphinpflaster kleben gehabt, und Buprenorphin sublingual nach Bedarf dazugenommen.
Aber auch dieser Versuch scheiterte dann kläglich.
Morgens mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus.
Hatte zwar überhaupt keinen Bock drauf, wieder über die Notaufnahme,…wieder sooo lang warten in einem Zustand, in dem man eigentlich nur noch seine Ruhe haben will…
Aber ich kluges Kind 🙂 hatte mich schon über den Oberarzt der Gastroenterologie ankündigen lassen, so dass es dann schlussendlich schneller ging, und ich sogar schon gegen 13 Uhr im Zimmer war, und auf Empfehlung des Arztes sogar ein Zweibettzimmer für mich alleine bekam. Toll! 🙂 Wir dachten bereits an einen guten Ausgang. Hofften auf eine kurze knackige effektive Behandlung und dann nach Hause. Aber bereits abends am Aufnahmetag stellte sich dann heraus, dass die Schmerzmedikation, die angesetzt wurde (die ja auch zur Aufnahme gut gewirkt hatte), trotzdem viel zu gering war.
Wir waren abends nicht mal mehr fähig, mit Torge zu telefonieren, weil wir nur vor Schmerzen geweint, gestöhnt und geschrien haben.
Es wurde immer schlimmer und wir immer verzweifelter – nichts half! Länger als eine halbe Stunde wirkten die Medikamente kaum.
Ich versuch mal kurz herzuleiten, wie das zustande kam. -> Das ist ja immer so, dass zur Medi-Änderung ein Arzt da sein muss… einfaches Pflegepersonal darf da gar nichts verändern. Außer es steht da in der Akte, dass es da „Auswahl“, „Bedarf“ oder einen gewissen Entscheidungsrahmen vom Pflegepersonal gibt. Bei uns gab es das scheinbar nicht, dass es da höhere mögliche Dosen oder ein Ausweichen auf andere Schmerzmittel gab. Und da es abends/nachts war, wo das hätte verändert werden müssen, wäre es dann ein AVD gewesen der die „topaktuellen“ Medis des Oberarztes hätte erhöhen müssen. Dies geschah natürlich dann nicht. -> Auf unsere Kosten! Und die waren hart!!!
Eine grauenvolle Nacht – und ich weiß ja, dass heute kein Mensch mehr Schmerzen haben muss!!! Aber den „Helfern“ war das scheinbar ziemlich egal…zumindest kam es mir bei manchen so vor. Sie schienen schon abgestumpft – in ihrer Art, arbeiten zu müssen. Anderen sah man an, dass sie gern etwas für uns getan hätten… aber nicht konnten.
Traurig… sehr, sehr traurig.
An Schlaf war nicht zu denken.
Morgens kam dann der palliative Dienst und hat die Medikation so verändert, dass die Schmerzen erträglicher wurden. Das Buprenorphinpflaster wurde in doppelter Dosierung geklebt, und es wurde dazu übergegangen Buprenorphin nicht sublingual als Bedarf zu nehmen, sondern (in halb- bis zweistündlichen Zeitabständen) nun 5mg Morphin subkutan als Bedarf zu spritzen. Ein Versuch war es ja wert, denn sublingual reichte ja anscheinend nicht aus. Da war der Versuch es subkutan zu spritzen im ersten Gedanken wahrscheinlich ein kluger. Aber auch das half nicht richtig, denn die Schmerzen kamen immer wieder nach kürzester Zeit zurück. Und das Schlimmste war, oft wenn ich geklingelt, und nach neuen Schmerzmittel gefragt habe, musste ich so lang warten, bis sie endlich damit fertig waren, die Spritze fertig zu machen, dass ich teilweise um Hilfe schreiend alleine in meinem Zimmer lag. Spritze ist natürlich immer aufwendiger als ne Tablette und BTM als Medi ist aufwendiger als was weiß ich für ein Standard-Medikament…. Aber es hätte nie so sein dürfen, dass wir da teilweise echt ne halbe Stunde schreien mussten, bis wir mal unsere Spritze erhielten. Aber das wurde sogar teilweise zum Dauerzustand! Fürchterlich. Schlimm. Erschreckend und eigentlich unverantwortlich unmenschlich vom KKH. …und schlussendlich sogar so schlimm, dass ich mich an vieles gar nicht mehr richtig erinnere und Torge mir bei meinem Tagebucheintrag hier helfen muss, weil ich sooo vieles einfach schon wieder weggepackt (dissoziiert) habe oder in so nen sch…. Zustand war, dass ich das erst gar nicht mitgeschnitten habe.
Man muss sich das wirklich mal vorstellen: Ich habe immer wieder, wenn die Schmerzen und Krämpfe kamen und ich das einfach nicht mehr aushalten konnte und die mit ihrer Vorbereitung des Schmerzmittels und Bringen in mein Zimmer nicht fertig wurden GESCHRIEN! Erstmal gestöhnt, dann immer lauter, bis hin später zu „Unterlassene Hilfeleistung“ „Ich halte das nicht mehr aus“ „Holt mir einen Arzt!“ „HILFEEEE!!!“ Ich hatte sogar in meiner bzw. unserer (und das ist noch viel schlimmer, da es in uns Verwechslungen mit Trauma- und Folter-Situationen verschiedenster Art ausgelöst hat) völlig hilflosen, ausgelieferten, ohnmächtigen, abhängigen Lage daran gedacht „Feuer“ zu schreien, weil ich mal gehört hatte, dass darauf schneller reagiert wird. Dann dachte ich auch daran Torge zu bitten, uns in einen Rolli zu packen und in die Notaufnahme zu bringen, wenn dort auf Station nichts passierte.
Torge sagt heute darüber, dass es das Schlimmste war, was er je in seinem Leben gesehen und gefühlt hat und aushalten musste an Hilflosigkeit, Entsetzen und Ohnmacht. Seine Versuche, uns Hilfe zu holen, trugen dort keinerlei Früchte. Er wurde sogar, als er um Schmerzmittelversorgung für uns bat, angeranzt, er würde die Schwester verrückt machen, wenn er alle zehn Minuten käme, um zu fragen wo das Schmerzmittel bleibe. Am liebsten hätte er sie über den Tresen gezogen.
Was für eine Frechheit! Torge war so sauer! Immerhin war er ständig und zum wiederholten Male dort gewesen und hatte vernünftig um eine eigentliche Selbstverständlichkeit gebeten -> dass wir schmerzfrei wurden und nicht länger unter seinen Augen leiden mussten. War das denn zu viel verlangt? Sollte man nicht annehmen können, dass es auch im Sinne eines Krankenpflegers/einer Krankenpflegerin ist, ihren Patienten zu helfen und sie eben nicht wiederholt in heftigsten Schmerzzuständen liegen zu lassen? Diese ganze Situation machte ihn fassungslos und fertig und es fiel ihm unheimlich schwer, uns ein ums andere Mal im Krankenhaus zurück zulassen in dem Wissen, dass so mit uns umgegangen wurde. Aber was sollten wir tun? Wir waren so unendlich machtlos!!!!
Auch wir heulten jedes Mal beim Abschied, da wir Angst hatten vor den Schmerzen und dem Umgang – besser gesagt dem NichtUmgang damit. Es war einfach nur schlimm…. und ich wette. da musste wieder einiges an Spaltung genutzt werden, um das durchzustehen. Diese ganzen Tage sind für mich von der Erinnerung wie Schweizer Käse mit riesigen Lücken und ansonsten nur Grauen!!!
Ich mag mir gar nicht ausmalen, wie das für Torge, einen liebenden Partner ist, seine Frau so leiden zu sehen und immer und immer wieder etwas zu versuchen und dann so abgeschmettert zu werden…. Und uns dann sogar noch dort zurücklassen zu müssen, in dem Wissen, was wir dort durchzustehen haben. Puh… das muss auch hart sein. Ich mein, klar unseres war auch extremst hart, aber irgendwie waren diese Schmerzen von solcher Wucht und die Behandlung, die wir durch das Personal erfuhren von solch krasser Qualität, dass wir das schon gar nicht mehr so wirklich rekonstruieren können, weil es 1. wahrscheinlich schon viel zu viel und überfordernd zum aufnehmen/wahrnehmen war und 2. davon dann noch ne Menge dissoziiert wurde.
Es war, muss ich gestehen, auch nicht immer gleich menschenverachtend und katastrophal dort, diese schlimmen vier Tage: Es kam auch immer sehr darauf an, wer gerade Dienst hatte. Bei manchen kam es mir so vor, als würde eine BTM-Medi-Ausgabe mit seinen Regelungen einen höchstkomplizierten und langwierigen Vorgang darstellen. Da musste man echt soooo lange auf Nachschub warten.
Mit anderen klappte das besser.
Zum Schluss bin ich dazu übergegangen, mir das jeweils selbst zu spritzen und mir sogar immer schon eine Spritze im Voraus zu besorgen. Das ging aber auch nur, wenn entsprechende Pfleger/innen da waren. Das klappte teilweise auch ganz gut, um nicht immer und immer wieder in diesen Wartezeiten in solche Schmerzspitzenzustände zu geraten, die dann fast nicht mehr zu kontrollieren und zu durchbrechen waren. Und ich, wie schon erwähnt, immer nur wieder stöhnend, schreiend unter Schmerzen dort liegen konnte.
Aber auch da klappte es nicht annähernd so, dass ich hätte sagen können: wäre es so gewesen, wäre es ok gewesen. Nein,… es war etwas erträglicher, aber durchgehend musste man Angst haben gleich wieder in solche Schmerzen zu verfallen, die kaum auszuhalten waren. Diese Ängste über sooo lange Zeit…. Dieses Ausgeliefert-Sein… abhängig sein von Personal, welches man erstmal nicht einschätzen kann… Vertrauen? Misstrauen?? …und das gekoppelt mit den Unmengen an Gewalterfahrungen – auch in Helferkontexten… puh… es war schon echt heftig.!!!
Was mich richtig gefreut hat, war, dass mir die eine Schwester irgendwann mal ein Wassereis gebracht hatte, weil ich seit 4 Tagen schon nichts mehr gegessen und getrunken hatte. Das war echt mal wieder ne Wohltat!
Am Dienstag dachte ich, Porternährung zu versuchen, weil die letzten Tage davor gar nicht dran zu denken war. Jede Flüssigkeitsgabe war zu viel, und mein Bauch rebellierte ständig. Aber versuchen wollten wir es dann.
Ein Portnadelwechsel ging dann noch schief, wodurch mir am nächsten Tag wieder eine neue Nadel gelegt werden musste, dann ging es.
Die Frage zu diesem Zeitpunkt war ja immer noch, was hat all das ausgelöst?
Im Ultraschall waren nur die riesig geschwollenen Dünndarmschlingen zu sehen. Da gab es die Vermutung, dass es sich um eine Enteritis (Entzündung und Schwellung durch Reizung von Chemo- und Antikörpertherapie) handelte.
Aber am Mittwoch habe ich dann mal um Klartext gebeten, und war entsetzt.
Die Ärzte hatten scheinbar schon länger das Wissen eines Darmverschlusses und glaubten wohl viel mehr an die Theorie, dass dieser heftigen Dünndarmaufquellung eher eine Einengung durch Metastasenwachstum und/oder kräftigen Narbenverwachsungen zugrunde liegt, als einer Enteritis… was sie uns aber erzählten. 🙁
Ich war so entsetzt, denn das könnte bedeuten, dass ist keine popelige Entzündung, die nach zwei Wochen weg ist, sondern ein ernsthafter, chronischer Zustand ist, der etwas ganz anderes bedeutet.
Dabei hatte ich immer gesagt, sie sollen ehrlich und aufrichtig zu mir sein, und mich nicht schonen. Ich hatte mich darauf verlassen, und was war nun schon wieder los? Die Ärzte wussten bereits, dass all das bereits lebensbedrohlich war. Aber kein Arsch hat mir davon erzählt.
Die wussten doch, dass ich und Torge jederzeit in diesen Prozess mit einbezogen werden wollten. Das wussten die. Zu 100 %. Wir waren da ja nun nicht zum ersten Mal. Und der Gastro kannte uns sogar recht gut, meiner Meinung nach. Ich dachte sogar ein gutes Verhältnis zu ihm zu haben und mit ihm gut kommunizieren zu können.
Aber nun war ich sogar wieder der Arsch, und musste Torge am TELEFON (!!!) so eine beschissene Nachricht überbringen! Ich hätte echt kotzen können… aber dazu war ich echt viel zu fertig. Und ich hätte echt ausrasten können, wenn ich die Kraft dazu gehabt hätte.
Hab dann auch nochmal ein Folge-Gespräch mit dem Oberarzt der Gastroenterologie gefordert in meinem Brast.
Da wurde dann nochmal sehr deutlich, was da eigentlich gedacht wurde bei den Ärzten. Und was dieser Verschluss durch Metastasen etc. zu bedeuten hat. Ein wichtiger Satz fiel: “Ob das alles überlebbar ist, entscheidet sich in den nächsten zwei bis drei Tagen. Und ob der Darm sich in dieser Zeit wieder von alleine in Bewegung setzt.“
Wir haben dann nochmal versucht ihm (dem Darm), falls er überhaupt wieder „anspringen“ sollte, dies zu erleichtern, durch eine nochmalige Aszitespunktion (3,3 Liter unter Narkose) und eine Reduzierung des Morphins (dies macht den Darm träge), und dann sollten wir abwarten… 2-3 Tage. Krasse Scheiße! Panik. Alles so schnell… kaum zu begreifen.
An diesem Tag entstand dann aber glücklicher Weise auch die aus heutiger Sicht gute Idee, uns ins Hospiz verlegen zu lassen.
Gerade auch, weil ich Angst hatte, dass die schon schlechte Versorgung im KKH an den Feiertagen noch schlechter werden könnte – immerhin war es ein Tag vor Heiligabend.
Und was soll ich sagen, es war eine sehr gute Idee. Denn durch all diese Schmerzerfahrungen und immer wiederkehrenden Vertrauensbrüche im KKH brauchten wir echt was anderes. Ich weiß nicht, was für ein Zombie aus uns geworden wäre, wären wir da nicht rausgekommen. Selbst die Psychoonkologin sah das so.
Es war ein Glücksfall, dass dort so kurzfristig noch ein Zimmer frei war. Torge durfte sogar im Krankenwagen mitfahren.
Er wiederum hatte am Vortag schon Henry bei Insa und Frido notfallmäßig untergebracht.
Was für ein Glück wir mit unseren Freunden doch haben. Es ist der Wahnsinn. Soooo dankbar!
Ganz verrückt, wie wir nun mal sind, haben wir auf dem Weg ins Hospiz noch an einem Mc Donald´s angehalten, um uns Eis mitzunehmen. Die Krankenwagenfahrer fanden das, glaube ich, auch cool, und machten das einfach möglich.
Im Hospiz angekommen bekamen wir direkt ein Zimmer, ich ein Bett, und es wurde sofort eine Schmerzpumpe mit Morphin angeschlossen – allerdings viel höher dosiert als in Krankenhaus, um die totale Schmerzfreiheit zu erreichen.
Wir fühlten uns recht bald auch wirklich gut versorgt. Und die Spätschicht hatte dann auch geklärt, dass Torge über die Feiertage das Gästezimmer nutzen konnte – bleiben durfte – trotz Corona. Wie wichtig!!! Eigentlich wäre das wegen Corona so alles sonst nicht möglich gewesen.
Aber so, mit dieser Lösung konnten wir beide endlich etwas runterfahren.
Für uns war das Da-Sein von Torge so wichtig, weil bei uns intern auch die Ängste vor „eigentlich helfendem Personal“, die uns aber immer und immer wieder allein gelassen hatten und uns mal wieder ohnmächtig gemacht hatten, so groß geworden war…. Und dann waren wir schon wieder irgendwo neu…
Die Krankenhauserfahrungen saßen einfach tief und waren noch völlig obenauf.
Es war echt schlimm. Oft hieß es von uns in totaaaaler Verzweiflung, wenn Torge in der Anfangszeit des Hospizaufenthaltes in sein Gästezimmer gehen wollte: „Kannst du nicht hierbleiben? Kannst du nicht hier schlafen. Wir haben Angst “.
Das KKH hatte mit seiner Behandlung echt mal wieder so einiges zerstört. Es war fast nur noch Misstrauen gegenüber Helfern vorhanden und Pessimismus und Horrorszenarien vom Umgang mit uns.
Hier auf der palliativen Station mit dem totalen Gegenteil konfrontiert zu werden, glich fast schon einer Achterbahnfahrt, in der es schnell vieles zu revidieren galt.
Auch Torge wurde so lieb aufgenommen und mit Essen verwöhnt.
Die Ärztin an Tag 1 machte einen guten Eindruck. Und wir waren erstaunt, wie viel Zeit die sich nahm. Das Aufnahmegespräch dauerte über eine Stunde.
Wir spürten sofort, dass hier gute Chancen auf individuelles und traumasensibles Handeln nach entsprechender Offenheit für diese Gespräche bestanden.
Irgendwann war dann auch dieses ängstigende Wort „Hospiz“ gar nicht mehr so schlimm, sondern es fühlte sich endlich mal nach bedarfsgerechter Versorgung an.
Man kam sich aber schon teilweise wie im Film vor, weil dieser Unterschied vom KKH zum Hospiz sehr drastisch war.
Und auch Herr Willenbrink, der wie immer sofort an unserer Seite war, kam zu Besuch, um uns nach dieser Horror-Behandlung im Krankenhaus und deren Folgen, zu unterstützen. Man könnte jetzt meinen: Das mit dem Therapeuten, der sofort zur Stelle ist und auch rausfährt, ist alles viel zu dicht und verlässt vielleicht den Bereich einer gesunden therapeutischen Beziehung, aber nein, das denke ich nicht. Wir achten da sehr drauf, sowohl er als auch wir. Und so komisch das vielleicht auch klingt, selbst nach 12 Jahren intensiver ambulanter Therapiearbeit sind wir immer noch beim „Sie“ und könnten das auch NIE ändern, weil wir darüber die professionelle Distanz halten… irgendwie komisch vielleicht, das an genau sowas festzumachen und anderes zu „tolerieren“ – wobei es da für uns nichts zu tolerieren gibt, da es für uns total gesund erscheint…. Doch das ist uns wichtig.
Aber das nur am Rande.
Es geht vielmehr darum, dass Herr Willenbrink und Torge einiges zu tun hatten, um uns einigermaßen „in der Spur zu halten“, um das hier zu schaffen, und nicht gleich zu Anfang einen Psychoeindruck zu hinterlassen.
Uns wurde direkt zu Beginn erklärt, dass der wichtigste Punkt in der Behandlung hier die Schmerzfreiheit ist. Bisher hatten wir ja immer gewollt, dass so wenig Morphin wie möglich gegeben wird, um den Darm nicht künstlich lahmzulegen. Das war ja im Prinzip auch völlig richtig. ABER den Zahn haben sie uns hier schnell gezogen: Sie haben erklärt, dass der Effekt von weniger Morphin, und dadurch mehr Schmerzen den Körper mindestens genauso, wenn nicht sogar noch mehr, belastet. Durch diese Erklärung konnten wir uns dann auch gut auf die Morphinmedikation einlassen.
Die Schmerzpumpe wurde dann auf einen Grundbedarf von 60mg Morphin plus Buscopan über 24 Stunden eingestellt, zu dem ich zusätzlich jederzeit noch 5 mg Morphin auf Bedarf anfordern konnte, was hier dann auch immer sehr schnell ging, wenn ich mal geklingelt habe.
Der Unterschied zur Behandlung im KKH war sooo krass!
Es wurde dann aber auch schnell klar, dass dieses „in ein paar Tagen wird es sich entscheiden“ sehr unwahrscheinlich war. Es war eher ein: der Darm ist dicht weil …. und… und …und …-> Metastasen-druck, Stenosen im Dickdarm, Verdickung der Wandschicht des Dickdarm, Verwachsungen, … Bewegungsstörung des gesamten Darms.
Dafür sprach auch, dass uns sooo, sooo schlecht war immerzu und die Spucke wieder sehr gallig und fast schon etwas „tiefer“ … also so anfänglich Anverdautes war… brrrr. Eklig. Ich sag´s euch!!!
Damit wurde uns aber auch die klitzekleine Hoffnung auf eine schnelle Lösung a la „alles wird gut“
(wenn sich der Darm doch noch wie durch ein Wunder öffnen sollte) genommen, und wir mussten uns damit auseinandersetzen, dass das Ganze eine noch ernstere Sache ist, und wir eventuell hier sterben werden.“
Am zweiten Weihnachtsfeiertag wurde dann auch mal deutlich WIE sehr das KKH wieder traumatisiert hatte.
Torge sagte später beschreibend: es war wirklich ein Chaoshaufen Mensch (Carlotta & Co)!
Viele ängstliche, panische Innenkinder, die Schutz bei Torge suchten. Wie gut, dass Torge da sein durfte.
Ein paar Tage später bekam er sogar im gleichen Zimmer wie Carlotta & Co ein „Beistell- Ehe-Bett“!!
Sooo, sooo wichtig und gut. Sowohl für das sehr wackelige und verunsicherte Alltagsteam, als auch besonders für die durch den Krankenhausaufenthalt frisch traumatisierten Anteile und die Anteile, die durch Ähnlichkeiten zwischen Täter-Gewalt-Mustern und die Behandlung im KKH getriggert waren.
Carlotta & Co waren wirklich extrem bedürftig und kamen mit sich nicht gut klar. Sie gerieten öfter am Tag an ihre Grenzen.
Schon wenige Tage nach der Aufnahme kamen auch Insa und Frido zu Besuch mit „Klein-Henry“. Es war nämlich erlaubt Hunde, zu Besuch zu haben. Das tat Carlotta & Co und Torge richtig gut, mal wieder in ihrer kleinen Familie zusammen zu sein und etwas „Normalität“ in dieser Ausnahmesituation zu spüren.
Insa war auch so nett – und man muss erwähnen, dass sie da echt ein Händchen für hat! – und massierte Carlottas Nacken und Rücken. Es war alles so fest, verspannt, schmerzhaft. Wahrscheinlich auch alles eine Reaktion 1. auf die stundenlangen über Tage andauernden Schmerzen und Krämpfe zu Zeiten des Krankenhauses und 2. das Chaos, was in Carlotta & Cos Kopf herrschte. Es war einfach alles zu viel. Zu viel war geschehen. Zu viel hatte das im Innen bewirkt. Zu viel war nun so plötzlich anders und konnte nicht gleich ohne großes Misstrauen angenommen werden. Und zu viel war UNKLAR!
Mit dieser Unklarheit hatten Carlotta & Co am meisten zu kämpfen. So ist es doch ein wichtiger Pfeiler, so gut wie möglich immer alles zu wissen, zu durchblicken für Carlotta& Co. Anfang und Ende zu wissen. Klare Folgen zu erkennen,… etc.
Auch dieser komplett neue „Denkansatz: Hospiz-Denken“ stellten ihr Denken und Handeln völlig auf den Kopf. Bisher war immer alles auf gnadenlosen, kompromisslosen Kampf, notfalls auch über sämtliche Grenzen (siehe dieser Ekel vor dem einen Chemo-Mittel) hinaus, ausgerichtet. Sie schrieb ja in ihrem Tagebuch damals, dass sie NIE hätte nachgeben können… dass sie sich eher untereinander „aufgeknöpft“ hätten, als irgendeine Chance, die sie als realistisch eingeschätzt hatte, verstreichen zu lassen. Sie waren davon überzeugt, dass es bis zum Schluss so weitergehen würde.
->„Was gibt es noch? Ist das ein Versuch wert? Ok! Machen! Augen zu und durch. Kein Gezeter und Gejammer…!“ So war es gewesen. Bis das Ramuzirumab alles veränderte.
Plötzlich war es einfach nicht mehr das Gleiche. Es war nicht zu schaffen. Es war zu schmerzhaft und kraftraubend – Kraft, die es eigentlich auch schon gar nicht mehr gab.
Doch zurück zum damaligen Zeitpunkt. Dieses „Hospiz-Denken“ war so ganz anders. Es war weniger ausgelegt auf langfristige Verbesserung durch Aushalten eines Behandlungsplans mit einem bestimmten Ziel und unter Inkaufnahme von Nebenwirkungen/Folgeschäden/Schlecht-Gehen. Nein, hier ging es gar nicht mehr um das große Ziel Überleben um jeden Preis. Im Hospiz-Denken steht das Jetzt und der Zustand im Mittelpunkt. Es geht vorrangig darum, dass man symptomfrei ist und es einem den Umständen entsprechend so gut wie möglich geht. Es geht nicht mehr um Kampf, sondern um Frieden – so blöd das auch klingen mag.
Und darauf umzuschalten fiel Carlotta & Co unheimlich schwer. Gerade auch durch ihr System und all das, was sie jahrzehntelang praktiziert hatten. Diese Schwierigkeiten wurden auch in der darauffolgenden Zeit immer mal wieder zum Problem, da das sehr ausgetretene Pfade von Carlotta & Co waren und diese nicht leicht zu verlassen waren.
Völlig unerwartet
Und als ob das alles noch nicht reichen sollte begann einen Tag vor Silvester neuer Stress heranzukommen. Unfassbar!
Zuerst vermuteten Carlotta & Co eine „übliche“ Verwechslung, als sie einen Videoanruf von einer ausländischen Nummer auf ihr Handy bekam. Carlotta maß diesem nicht viel Bedeutung bei, und drückte diese Anrufe immer einfach weg, bis der Anrufer nach 5 Versuchen aufgab.
Nachts dann aber der Schock. Carlotta konnte nicht schlafen, und weckte mit ihrer Unruhe Torge auf. Da Torge dann ja eh schon wach war, fragte sie ihn, ob er ihr nochmal die Nachrichten von Rike vorlesen könnte, die tagsüber auf Torges Handy angekommen waren, weil sie das gerne nochmal hören wollte. Als Torge auf sein Handy sah, bemerkte er, dass er eine Nachricht von jemandem aus Carlottas Familie bekommen hatte. Er war sehr geschockt. Wie sollte er DAS Carlotta beibringen? Oder sollte er es gar verschweigen, um sie zu schonen? Was bedeutete das? Wie, und auf welche Weise waren die Leute an die Kontaktdaten gekommen? Fragen über Fragen nach 9 Jahren Sicherheit, die Torge so plötzlich mit einem Schlag zerfallen sah.
Er entschied sich, Carlotta nicht anzulügen, und berichtete ihr von der Nachricht. Die Reaktion von Carlotta & Co war, wie befürchtet, sehr heftig. Torge hatte das Gefühl, das ganze System bräche zusammen. Eine unheimliche Angst machte sich breit, brach sich ihre Bahn durch Carlottas sonst so starkes System. Torge bereute es bald, es nicht verschwiegen zu haben. Aber wäre das die Lösung gewesen? Nein, wäre es nicht. Denn zum einen gab und gibt es keine Geheimnisse zwischen Carlotta und Torge, und zum anderen sollte sich schon am nächsten Tag, also an Silvester, rausstellen, dass die Täter auch die Kontaktdaten Carlottas schon längst besaßen. Es gab Freundschaftsanfragen in sozialen Netzwerken, und Anrufe mit unterdrückter Nummer auf Carlottas Handy.
Carlotta & Co waren schwer angeschlagen. Aber trotz der Schwere war es ihnen möglich, wie auch immer sie das schafften, ein halbwegs funktionierendes „Not-Alltagsteam“ aufzustellen, das aus mehreren kleinen Anteilen bestand. Wenn irgendwas auf dem Handy war, gaben sie es immer zuerst Torge in die Hand, damit er gucken konnte, wer da gerade anrief/schrieb. Die Anrufe der Täter drückte Torge dann immer weg.
Den Rest des Tages schaffte das „Not-Alltagsteam“ aber gut. Die Kleinen waren zwar verunsichert, sehr fertig, sehr müde und kraftlos, aber dennoch nutzten sie den Tag, um sich etwas Gutes zu tun. So begleiteten sie Torge zum Beispiel einmal, als er nach draußen ging um zu rauchen.
Eine liebe Schwester, die mit der Situation erstaunlich gut umging, eine Gruppe von Kindern vor sich zu haben, bot Torge und der Kindergruppe Kaffee und Kuchen an. Die Kleinen freuten sich sehr, bestanden auf Vanillepudding mit Obst, was die Schwester ihnen dann auch machte. 🙁 Und natürlich musste das Ganze nicht oben auf dem Zimmer, sondern unten im allgemeinen Wohnzimmer zu sich genommen werden. Trotz des schlechten körperlichen Zustands war das wichtig.
Insa und Frido schauten an Silvester auch kurz zu einem Besuch vorbei, weil sie Henry zu einem Übernachtungsbesuch brachten. Das war für Carlotta & Co ein sehr wichtiger Punkt. Wobei Carlotta selbst von diesem Tag eher nichts mitbekam. Insa und Frido waren ziemlich geschockt über den Zustand von Carlotta & Co, sie machten sich große Sorgen.
Später am Abend stand dann noch mehr „Programm“ für die Kindergruppe an. Sie hatten sich entschieden, unbedingt noch baden zu wollen. So ging Torge mit der Rasselbande und Henry ins Badezimmer, und ließ ihnen ein Bad ein, schön mit Kerzenlicht, Musik, gedimmten Wandlampen und tollem Badezusatz. Für die Kleinen war das ein schönes Erlebnis. Allerdings kostete es auch sehr viel Kraft. So kam es, dass, zurück auf dem Zimmer, nicht mehr viel passierte, und Carlotta & Co viel schliefen.
Um 0 Uhr standen Carlotta & Co (eher die Kindergruppe) mit Torge und Henry am Fenster, und beobachteten das coronabedingt nur vereinzelnde Feuerwerk.
Am Neujahrstag stabilisierte sich der Zustand von Carlotta & Co wieder etwas. Natürlich gab es innen noch viel Angst, natürlich war das Entsetzen groß. Aber sie entschieden sich klar, den Tätern nicht zu viel Macht zu geben. Was sollte passieren? Sie waren in einem Hospiz, dort kam durch die Corona-Maßnahmen niemand rein, der nicht angemeldet war. Außerdem war Torge ja auch die ganze Zeit bei ihnen. Hier war also die körperliche Sicherheit immer noch gegeben. Dass dies die Ängste nicht komplett verdrängen konnte, war klar, aber vielleicht würde es ja wenigstens einige Anteile erreichen. Jede noch so kleine Beruhigung war wertvoll.
Und doch kamen die Fragen auf: Was sollte das für einen Grund haben? Carlotta & Co und Torge fragten sich: Was sollte das? Und nicht nur Carlotta & Co und Torge kamen diese Fragen und bestürzte dass es dazu überhaupt gekommen war. Eigentlich war das komplette Umfeld entsetzt.
Carlotta & Co hatten im Verlauf ihres Therapieweges gelernt, dass es von Nutzen war, sich die Fragen: „WER hat etwas davon?“ und „WAS haben die davon?“ zu stellen. Und auch „Warum gerade jetzt, zu diesem Zeitpunkt?“ war eine auftauchende Frage. Zumal die Täter ja wussten, wie es um Carlotta & Co stand.
– War es eine Drohung? Und wem galt sie? Galt sie vielleicht sogar Torge? Damit er nach Carlottas Tod nicht mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit geht?
– Ging es um die Website? Dass es ein Zeichen sein sollte, die Seite vom Netz zu nehmen?
– Ging es darum, bis zuletzt zu verhindern, dass Carlotta redet?
– War es eine Machtdemonstration? Ihr zu zeigen, dass die vermeintliche Sicherheit gar nicht existiert hatte?
– Und vor allem, warum war es DIESE Personn aus der Familie? Und nicht eine Ranghöhere aus der Sekte?
Auch die Form der Nachricht, die an Torge ging war sehr perfide. Wer nicht wusste, was Carlotta & Co durch die Familie erlitten hatte, der hätte die Nachricht für lieb, besorgt und zugewandt gehalten. Aber man konnte schon ein wenig rauslesen…. Zum einen wurde nur ihr alter Name benutzt, nicht der Name, den sie durch die Heirat angenommen hatte, den die Täter aber kannten. Dazu kam der Versuch sie zu ködern: „Sie ist jetzt Tante, hat einen Neffen“.
Die Anrufe mit unterdrückter Nummer gingen insgesamt etwa 5 Tage. Dann war plötzlich wieder Ruhe.
Durch die fassungslos machenden, unerwarteten Vorfälle und die daraus resultierende Reaktion bzw. Instabilität von Carlotta & Co, erübrigte sich auch die Frage, wie offen sie im Hospiz beim Personal mit der DIS umgehen sollten. Die Switches waren ja nicht zu übersehen gewesen.
Sowohl für Torge als auch Carlotta & Co und auch im Gespräch darüber mit Hrn. Willenbrink, Insa, Frido, Ute,….war der erste Eindruck vielversprechend, dass es in der Zukunft vielleicht wirklich hilfreich sein könnte, Gespräche, Planungen, Zeit zu investieren um hinterher möglichst einen traumasensiblen Umgang im Hospiz für Carlotta & Co zu erreichen.
Was in der Zwischenzeit mit ihrem Körper geschah:
Der Körper machte Carlotta immer mehr zu schaffen. Sie versuchte vieles, wie z.B. Flüssigkeitsinfusionen, um ihrem Körper zu geben, was ihm fehlte.
Allerdings verarbeitete dieser das nicht mehr wie gewohnt, sondern lagerte das Wasser nur noch als Aszites im Bauch oder in den Beinen ein. Und das in einem Maß, das sie so vorher nicht gekannt hatte. Erschreckend.
Dass sie mittlerweile seit 2 bis 3 Wochen keine feste Nahrung (auch keine parenterale Nahrung) mehr zu sich genommen hatte, trug nicht unbedingt zu einer Verbesserung bei. Sie merkte, wie sie immer schwächer wurde, war viel öfter müde, konnte sich weniger gut konzentrieren, wurde immer dünner, bis auf Bauch und Beine, die ja voll Wasser waren.
Durch dieses Wasser konnte sie die Waage nicht mehr als Kontrolleinheit nutzen. Denn das angezeigte Gewicht glich ihrem Ausgangsgewicht, vor dem Krebs. Wenn man sie aber ansah, dann sah man, dass die Schultern, Arme, Brust- und Rückenbereich total abgemagert waren. Nur der runde Bauch und die aufgeschwemmten Beine passten nicht in dieses Bild. Sie sagte einmal zu Torge: „Das ist wie zwei unterschiedliche Körper zusammengesetzt.“ Und so sah es tatsächlich aus. Carlotta fühlte sich so hässlich, weil ihre Knochen so rauszusehen waren, und das Gesicht immer dünner wurde. Sie konnte sich nicht mehr sehen, fand es grausam den körperlichen Verfall so mit ansehen zu müssen/können.
Eine Notiz Carlottas aus dieser Zeit:
„Der Körper macht aber auch komische Sachen hier. Es ist so krass.
Mit dem Flüssigkeitshaushalt kriegt der es gerade voll nicht hin. Man sollte ja meinen, ein Liter Infusionslösung würden dann auch aus dem Blut, durch die Blase im Klo landen (abzüglich des Verbrauchten natürlich). Aber nein. Wasseransammlungen, die ich ja vorher schon immer wieder mal hatte, nehmen hier echt extreme Formen an. Also anstatt das Wasser normal zu verarbeiten, kommt er irgendwie damit nicht klar gerade. Und ich habe wirklich extrem dicke Beine, und seit neuestem sogar am/im Oberschenkel- und Po-Bereich – neben der Aszites natürlich immer noch.
Ansonsten bin ich nämlich total abgemagert – klar wenn man seit Mitte Dezember bis jetzt (Anfang Jan) gerade mal 2x parenterale Ernährung hatte und sonst nichts.
Man sieht an entsprechenden Stellen echt nur noch Haut und Knochen!!!
Ich finde mich wieder sooo hässlich!!! Diese Glotzaugen immer!
Ich sehe wirklich schon echt extrem, extrem krank aus.
Torge sagt, „Ja du siehst krank aus!“ aber wenn ich mich als hässlich bezeichne und manchmal hysterisch heule, dann tut ihm das doll weh. 🙁
Er ist eh so belastet gerade durch all den großen Mist…. Gut, hier schon weniger, da er zumindest Verantwortung für meine Versorgung abgeben kann und er auch hier gut betüddelt wird mit Essen und einfach bei mir sein kann… beobachten kann, dass es uns hier „eigentlich“ gut geht… usw. … aber meine Launen bekommt er ja trotzdem mindestens mit, wenn nicht sogar oft ab!!!
Und ich finde mich dann wieder scheiße, dass ich ihn in meine Zeitdrucksituation mit reinziehe.
Aber es ist echt krass: Jetzt bin ich sooo froh schon so viel ab März gemacht zu haben. Ich möchte mir gar nicht ausmalen, wie das sonst gewesen wäre. Dieser Zeitdruck macht mich echt ganz schön kirre und ich befürchte, manches Mal unausstehlich.
Weiterhin ist in Carlottas Aufzeichnungen zu lesen:
„Gut ist, glaube ich, dass wir recht schnell recht offen mit unserer Traumavorgeschichte umgegangen sind/damit umgehen konnten-hier! Nun gut… nach Silvester und den Täterscheiß war dann ja auch nicht mehr viel anderes möglich…. Und so haben die die Chance uns besser einordnen zu können und wir die Chance, dass wir noch mal individueller behandelt werden.
Was mich grad jetzt, wo ich nun wirklich ganz in echt bald sterbe, riesig belastet, ist Corona und die Regelungen deshalb. Wie gern würde ich selbst frei entscheiden und planen können, wen ich wann, mit wie vielen, zusammen seh, um mich zu verabschieden…
und wie gern hätte ich gerade Körperkontakte wie in den Arm nehmen.
Manchmal werde ich regelrecht fuchsteufelswild, weil ich mich eh schon so stresse mit der Terminplanung und dann immer wieder -> Strich durch die Rechnung wg. neuer Bestimmungen.
Ach… alles schwer gerade…. hochemotional… Achterbahn… Abschiede, Angst.
Manchmal auch Angst vor dem Schlafen, weil der eine Arzt sagte, ich wäre in so einem Stadium, an dem Punkt an dem abends ins Bett gehen und morgens nicht mehr aufzuwachen, nicht ungewöhnlich wären. Puh…
Klingt alles so irreal. Vor kurzem bekam ich vom Körpergefühl noch so ein einigermaßen sicheres Gefühl… so irgendwie „egal was alle sagen, ich bin noch weit weg vom Tod. Aber das, was er jetzt tut oder nicht mehr tut, gruselt mich echt! Und es macht mir Angst, dass ich da so unsicher werde.
Außerdem hasse ich Unsicherheiten…
Allerdings scheitere ich mit meiner Methode: Recherchieren, Fakten schaffen, radikaler Offenheit, Listen,… hier kläglich und werde auf eine ziemliche Haltlosigkeit zurück geworfen.
Der „Alltag“ im Hospiz
Mittlerweile war es Anfang Januar, und Carlotta & Co und Torge lernten den Hospizalltag nun außerhalb des Feiertagsmodus kennen. Bisher hatten sie ja eher nur den runtergefahrenen Alltag über und zwischen den Feiertagen kennen gelernt. Trotzdem waren sie inzwischen schon recht gut „angekommen“.
Verwirrungen gab es jedoch immer noch mit den unzähligen Ärzten, da über die Feiertagszeit immer wieder andere Ärzte kamen. Sie wussten noch gar nicht richtig, welcher Arzt nun zum ständigen Hospiz-Personal gehörte, und wer nur als Vertretung bzw. Bereitschaftsarzt kam. Und bei jedem neuen Arzt stellten Carlotta & Co immer wieder die gleichen Fragen: „Wieviel Zeit bleibt uns denn noch?“, „Wie wird der Verlauf sein?“, „Wie sieht das Sterben in unserem Fall aus?“. Doch keiner der Ärzte ließ sich auf eine Prognose ein. Die Antworten waren immer sehr allgemein und ausweichend gehalten: „Das kann man nicht sagen.“, „Jeder stirbt auf seine Weise.“, „Manche sterben schnell, andere brauchen da Wochen für.“…
Ein Arzt war wenigstens zu der Aussage zu bewegen, dass er der Meinung sei, der Sterbeprozess wäre bei Carlotta & Co schon „eingeläutet“. Er sagte, es könne schon sehr gut sein, dass sie abends einschlafen, und morgens nicht mehr aufwachen würde. Die anderen Ärzte waren da aber wesentlich zurückhaltender. Über den zu erwartenden Verlauf war ihnen auch nichts aus der Nase zu ziehen. Mehr als „Es könnte sein…., es könnte aber auch sein dass…., aber … ist genauso möglich…“ war nicht zu erwarten.
Der Alltag abseits der Feiertage war auch gleich viel anstrengender. Gefühlt ging plötzlich am laufenden Band die Zimmertür auf, und jemand wollte etwas. Sie kamen sich manchmal vor wie auf einem Bahnhof. Da kam morgens erstmal die Schwester zur Medikamentengabe, dann kam jemand und fragte was sie frühstücken wollten, was ja eigentlich nur Torge betraf ( Carotta & Co hatten bis zu diesem Zeitpunkt schon mehrere Wochen nichts gegessen, sondern wenn dann überhaupt gekaut, um den Geschmack im Mund zu haben und es dann wieder auszuspucken), die Putzkraft ging durch, der Seelsorger fragte nach Gesprächsbedarf, Visite, und immer wieder die Fragen „Ist alles in Ordnung?“, „Brauchen Sie noch etwas?“ und „Kann ich Ihnen noch etwas Gutes tun?“. Der wertvollste Termin am Vormittag war für Carlotta & Co immer der Physiotermin.
Was sonst schon so manches Mal ein Problem dargestellt hatte, war hier glücklicherweise nicht vorhanden. Und zwar, die Zusammenarbeit mit der Physiotherapeutin. Denn durch Carlottas Ausbildung hatte sie Vorstellungen und der jeweilige Physiotherapeut hatte eigene, was nicht immer gut passte. Aber diesmal harmonierten beide Seiten wirklich gut miteinander. Man könnte sogar fast sagen, sie ergänzten sich, und hatten dadurch zusammen effektivere Ideen, die die bestmögliche Behandlung ergaben. Carlotta & Co profitierten enorm von der Physiotherapie.
Nun hatte sich auch eine Regelmäßigkeit der Besuche von Herrn Willenbrink eingestellt. Er kam zwei Mal pro Woche zu Carlotta & Co. Einen ganz wichtigen Punkt, die Anteilsliste, konnten sie nun endlich weiter bearbeiten, da sie in der Anfangszeit eher noch mit dem Ankommen und kennen lernen der Abläufe im Hospiz beschäftigt waren. Jetzt, Anfang Januar, wurden sie mit dem Besprechen der Anteilsliste fertig. Welch ein wichtiger Punkt!
So ließen sich Carlotta & Co, wie so viele andere Dinge, die sie jeweils als „Aufträge“ an die verschiedensten Freunde (an dieser Stelle nochmal ein großer Dank, besonders an Insa und Frido, die nicht nur die besten Hundesitter der Welt in dieser Zeit darstellten, sondern auch Shopping-Queen und Shopping-King 🙂 ) verteilten, auch das (alte) Carlotta & Co Portrait 206+ mit ins Hospiz bringen. Welches sie der aktuellen Anteilsliste anpassten. Aus 206+ wurde 226+. Und eine besondere Freude machte Herr Willenbrink Carlotta & Co indem er erfragte, ob er auch ein solches Exemplar haben könne. Er wolle dies gerne in seinem Therapieraum aufhängen, dort wo Carlotta & Co immer gesessen hatten.
Durch den Abschluss der Anteilsliste war nun wieder mehr Raum dafür, andere Themen, vor allem neu aufkommende, zu bearbeiten. Das erste Thema ergab sich aus der Frage „Welche Ängste sind da?“. Und Carlotta & Co stellten fest, dass ihr erster Gedanke bei Hilfsbedürftigkeit und Pflegebedürftigkeit war. Ihr Graus war die Vorstellung, wehrlos und ausgeliefert, nur noch wie ein toter Körper dort zu liegen, und rundum versorgt und gewaschen zu werden. Sie hatte Angst vor Unwürdigkeit und das alles nicht zu ertragen.
Da sie ja ab mindestens der Silvesterzeit, und seitdem durchgängig bis zu diesem Zeitpunkt eine große Offenheit des Pflegeteams gegenüber den individuellen Bedürfnissen und Problemen Carlotta & Cos entgegengebracht bekam, entschieden sich Carlotta & Co, Torge und auch Herr Willenbrink dazu, das Team zu fragen, ob sowas wie eine „Trockenübung“ der Pflege zum Testen wo die Probleme bei wem (Innies) genau lagen. Herr Willenbrink gab vorab schon einmal ein Schreiben im Schwesternzimmer ab, in dem er die notwendigsten Infos über Carlotta & Co grob zusammengefasst hatte. Weiter besprachen sie, dass Carlotta eine Schwester, der sie vertraute, die Bitte eines „Probewaschens“ vorträgt. Wenn dieses gemeistert wäre, würden sie gemeinsam nachbesprechen, wie es gelaufen ist, und die wichtigsten Punkte für das Pflegeteam schriftlich zusammenfassen, damit diese sahen und wussten, wo es problematisch war.