Teil 12 – Carlotta und der Krebs

Wie es genau begann mit den Symptomen ist nicht ganz klar, da die Körperwahrnehmung von Carlotta & Co nie die beste war. Doch irgendwann verdichteten sich die Symptome wie Magenschmerzen, Nahrungsmittelunverträglichkeit, die vorher nicht da waren, eine generelle Schwäche und Kurzatmigkeit, und so ging Carlotta zu ihrer Hausärztin. Diese nahm Blut ab, machte Ultraschall vom Bauch, und erste Ergebnisse zeigten, dass Carlotta & Co mal wieder eine Anämie hatten und mit Eisenpräparaten versorgt wurden. Die Hausärztin regte noch einen Stuhltest an, da Carlotta irgendwo Blut verlieren musste. Dieser war positiv und so bekam Carlotta eine Überweisung zu einer Magen- und Darmspiegelung. In der Wartezeit auf einen ambulanten Termin wurden die Symptome nicht besser, sondern eher schlimmer, und die Eisentabletten trugen ihr Übriges dazu bei, dass es Carlotta & Co körperlich nicht gut ging. Doch das war alles noch nicht beunruhigend. Carlotta vermutete vielleicht eine Magenschleimhautentzündung durch Stress und eine Eisenmangelanämie hatte sie schon öfter gehabt.

Als Carlotta eines Abends Blut erbrechen musste, war sie dann doch schon beunruhigt und gleichzeitig unsicher, ob dies ein Grund wäre, in die Notaufnahme des Krankenhauses zu gehen. Zu oft war sie schon zu irgendwelchen Ärzten gegangen und es war nichts festzustellen. Zutiefst verunsichert holte Carlotta ihren Mann Torge ins Bad und zeigte ihm das Blut und fragte: „Muss man wegen sowas ins Krankenhaus?“ Sie stimmten sich ab, dass sie noch am selben Abend ins Krankenhaus gehen würden. Carlotta machte noch ein Foto vom Blut im Klo und nahm eine Probe in einer Tupperbox mit, um ja nicht wieder als „Spinner“ abgestempelt zu werden und um die Gründe ihrer Sorge zu beweisen.

So kamen Carlotta & Co und Torge mitten in der Nacht in der Notaufnahme an. Das Warten dauerte endlos lang, bis dann endlich ein junger Arzt sich ihrer annahm und nach der Schilderung, dem Ansehen des Blutes und des Fotos den Bauch abtastete, Blut entnahm und ein Ultraschall machte. Carlotta & Co sollten dort bleiben, aufgenommen werden, um am nächsten Tag eine Magenspiegelung zu haben.

Und so kam es auch. Am Morgen hatte Carlotta die Magenspiegelung unter Kurznarkose mit Propofol. Ihr Innerstes war auf Notprogramm geschaltet und rührte sich kein Stück. Alles war auf Aushalten ausgerichtet.

Als Carlotta dann gespannt auf Ergebnisse wartete, wurde ihr lediglich erzählt, dass sie noch ein CT habe. Das verstand Carlotta aber nicht und wollte endlich Ergebnisse wissen. Sie ging zur Schwester der Station und sagte: „Wenn hier kein Arzt mit mir redet und mir erklärt, warum ich dieses CT jetzt machen soll, dann weigere ich mich!“

Und so kam es, dass die Gastroenterologin zu Carlotta kam und sagte, dass sie bei der Magenspiegelung etwas gefunden hätten, was sie noch näher untersuchen müssten. Auf Carlottas Frage „Was „etwas“ denn bedeute und sein könnte!?“, antwortete die Ärztin „Von bis… von einer verdickten Magenschleimhaut bis Tumor/Krebs wäre alles möglich“

Und so machten Carlotta & Co das CT.

Allerdings las sie in der Akte, die sie zur Untersuchung selbst mitnehmen sollte, den Satz: „Dringender Verdacht auf Magen-CA“, was sie sehr schockierte und augenblicklich taub machte.

Die Auswertung der Ergebnisse, wo dann auch Torge und Carlottas ambulante Betreuerin Dagny anwesend waren, war niederschmetternd. Die Gastroenterologin war angesichts der Diagnose auch sichtlich erschrocken, da so etwas eigentlich erst im höheren Alter auftritt.

„Eine gute und eine schlechte Nachricht! Sie haben Magenkrebs, aber es scheint nur ein Lymphknoten ganz dicht dabei betroffen. Der restliche Brustkorb sieht gut aus im CT!“

Am nächsten Tag würde noch eine Darmspiegelung folgen.

Carlotta wurde automatisch ruhig, taub und sehr abgeklärt und versuchte, in kurzer Zeit und mit vielen Fragen noch etwas aus der Ärztin an weiteren Informationen herauszuholen, während Dagny und Torge sehr geschockt, ruhig und betroffen waren. Doch die Ärztin wollte vorerst nichts weiter dazu sagen und verwies auf die weiteren Untersuchungen und die Ergebnisse der Gewebeprobe, die sie entnommen hatten.

Bei der Darmspiegelung am nächsten Tag, nachdem Carlotta dieses unsägliche Abführprogramm durchgestanden hatte, wurde lediglich ein Polyp entfernt, sonst sah alles gut aus und sie durfte endlich nach Hause gehen. Sie bekam noch einen Termin für die onkologische Ambulanz mit nach Hause. Allerdings erst nach dem einwöchigen Urlaub, den Carlotta & Co, Torge und Henry schon lang vorher geplant hatten.

Doch dazu sollte es nicht kommen. Es gab Komplikationen. Durch die Darmspiegelung gab es vermutlich eine Mikroverletzung des Darms und so traten schon in der ersten Nacht zu Hause kaum aushaltbare Schmerzen auf und selbst Schmerzmittel in hoher Dosis konnten nicht verhindern, dass Carlotta & Co vor Schmerz brüllen mussten.

Der hausärztliche Notdienst war nicht sehr hilfreich. Er schob es auf Flüssigkeitsmangel, Magnesiummangel und psychische Belastung durch die kürzliche Diagnose (er hatte Carlotta & Cos zahlreiche alte Narben an den Armen gesehen).

Morgens fuhr Carlotta dann zur Hausärztin, die aber auch nichts machen konnte und Carlotta in der Notaufnahme des Krankenhauses voranmeldete. Und so wurde Carlotta direkt mit dem Auto von Dagny an die eigentliche Rettungswagenrampe gebracht und recht schnell dann mit einem Morphin ruhiggestellt und schmerzarm gemacht, da eine Untersuchung vorher unmöglich war.

Nach einigem hin und her, vielen Untersuchungen wie CT, MRT und Ultraschall und mehreren möglichen Ursachen war dann aber klar: Der M. Iliopsoas (der große Hüftbeuger), der sich von der Wirbelsäule bis in den Oberschenkel zieht, war komplett entzündet.

Iliopsoas-Abzess auf einer Länge von 20 cm und 3 cm Durchmesser

Carlotta & Co bekamen einen Port (Portkatheter = ein dauerhafter Zugang von außen in eine Vene direkt am Herzen) gelegt und dann hieß es Antibiotika-Therapie im Krankenhaus, da ein krankenhauspflichtiges Antibiotikum verwendet werden musste, da das erste Antibiotikum nicht die gehoffte Wirkung erzielte und sich die Entzündungswerte trotzdem verdoppelt hatten. Das hieß dann natürlich auch: Urlaub nicht möglich.

In dieser Zeit schrieb sie in ihr Tagebuch:

„Alle Menschen um mich rum kümmern sich gerade sooo sooo sehr um mich/uns. Das ist echt ne tolle Erfahrung. Hatte schon unglaublich liebe Besuche und Kontakte und Torge ist der Hammer – der Arme. Den nimmt das richtig doll mit, na klar. Ich glaub, er hat dolle Angst und er hat einfach auch viel Stress, aber er kümmert sich so unglaublich. Ich lieb ihn so.

Aber eigentlich… echt fast alle… sind super. Bin voll dankbar.

Ich versuch, uns positiv zu halten und immer nur Schritt für Schritt zu gucken. Viele bestaunen unsere Stärke, aber ich glaube einfach, dass man positiv rangehen sollte. Nur heulen, Pessimismus, ist ja auch nicht gut. Na klar heule ich auch manchmal, aber ansonsten versuche ich, einfach alles zu geben, was gebraucht wird, um das hier durchzustehen. KÄMPFEN!

Hab auch schon mit der Psychoonkologin geredet und nur dort hab ich bisher so wirklich richtig über unser Trauma geredet. Denn in all der Eile, die wir haben müssen, weil der Tumor schon so weit fortgeschritten ist und so schnell wächst, können wir uns leider eigene Grenzen durch Verletzlichkeiten, Trigger nicht erlauben. Das klingt hart – ist es auch, aber es geht wohl leider nicht anders, wenn es ums Überleben geht.“

Aber was es noch zur Folge hatte, war sehr bedeutsam.

Die eigentlich anstehende Chemotherapie konnte so nicht starten. Die Ärzte wurden selbst sehr beunruhigt und diskutierten oft in Tumorkonferenzen, ob es dann nicht sinnvoll wäre, von der Leitlinie abzuweichen und die OP vorzuziehen.

Doch nach einigen Wochen Antibiose war Chemotherapie dann doch möglich. Carlotta hatte sehr große Angst, da die Ärzte vorher gesagt hatten: „Chemo würde sie derzeit umbringen“.

Und dann war es wider Erwarten doch recht schnell gegangen, dass doch die direkte OP keine Option mehr sein sollte, sondern 4 FLOT Chemos anstanden.

Was sie da alles auszuhalten hatte, war nur mit Hilfe von bereits erlernten Not-Mustern in ihrem Innensystem zu schaffen. Und auch so gerieten Carlotta & Co oft an harte Belastungsgrenzen. Aber meist eher auf der körperlichen Ebene. Von den 4 Chemotherapien schaffte Carlotta gerade mal 2 zu Hause. Bei den anderen beiden war jeweils ein Krankenhausaufenthalt notwendig.

Am letzten Abend vor der 3. Chemo notierte Carlotta in ihrem Tagebuch:

„Das ist immer ein komisches Gefühl und man hat Angst und will nicht, aber man muss… vernünftig sein.

Die Tage, an denen es besser geht, sind immer viel zu kurz.

Dann immer einzusehen, dass Carlotta ins Krankenhaus musste und es nicht mit sich selbst ausmachen wollte, war jedes Mal ein schwieriger Kampf mit Torge und/oder Dagny. Es gab viel Heulerei, Widerstand und tiefe Verzweiflung.

Carlotta & Co wollten nicht immer wieder ins Krankenhaus!

Sie hatten Schwierigkeiten mit den Abläufen, dem Umgang, der Versorgung dort… mit den Strukturen und den Mängeln im Gesundheitssystem. Sie hatte Schwierigkeiten durch ihre Vorerfahrungen in Helferkontexten. Und das Personal des Krankenhauses war auch nicht darauf ausgelegt, mit Traumapatienten umzugehen. Von daher wurde das einfach übergangen.

Aber während der gesamten Zeit machten Carlotta & Co auch gute, berührende Erfahrungen. Torge, Dagny, Hr. Willenbrink und all die Freunde standen ihnen fest zur Seite und stützten sie.

Nach der zweiten, kurz vor der dritten Chemoeinheit fielen Carlottas Haare aus und sie rasierte sich eine Glatze, was aber ok war. Carlotta fand das eher nebensächlich, zumal ihr auch rückgemeldet wurde, dass es ihr sogar stehen würde.

Carlotta & Co hatten vielmehr mit dem zu tun, was die Chemo körperlich mit ihnen machte und wie sie es intern kompensieren, auffangen, aushalten konnten und Retraumatisierungen bzw. Verwechslungen zu „Altem“/Flashbacks/Triggern vermeiden konnten.

Nach der 4. Chemo war Carlotta sehr geschwächt und hatte nun einige Wochen zur Erholung, bevor dann die große OP anstehen sollte.

Inzwischen waren 4 Monate seit der Diagnosestellung vergangen und es kam dann zur OP.

Eine riesige OP, wo der komplette Magen, die Galle und 41 Lymphknoten und das komplette Bauchnetz von innen entfernt wurden über einen 20 cm querverlaufenden Bauchschnitt.

Der eigentlich dafür geplante 10tägige Aufenthalt wurde dann aber durch Komplikationen zu fast 2 Monaten. Nach dieser Zeit schrieb Carlotta folgenden „Roman“ in ihr Tagebuch:

„Zwei richtig, richtig krasse Monate liegen hinter uns, wo wir hier nicht schreiben konnten/wollten. Puh: Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Alles, was ich versuchen werde, in Worte zu bringen, wird dem bestimmt nicht gerecht werden, wie es war. Ich habe das Gefühl, wirklich heftig tiefgehende Erfahrungen in negativer Weise gemacht zu haben, die ihre Spuren hinterlassen haben bzw. noch werden. Hab auch vieles davon schon wieder verdrängt. Hab ja aber stichwortartig täglich aufgeschrieben, was war.

Am 08.10. hab ich dann nach den Untersuchungen und der Aufnahme im Krankenhaus nochmal meine Henkersmahlzeit gegessen: Pommes mit Mayo, große Portion. Ich hatte abends Abführmittel. Das wirkte aber erst recht spät und frühmorgens vor der OP war da immer noch was. Das Ganze hat aber gut abgelenkt von der Aufregung vor der OP und war dann noch zeitlich echt stressig, so dass wir nicht lang überlegen konnten. Wir waren sehr früh im Vorbereitungsraum unten. Die Braunüle legen, verkabeln, PDK legen (PDK = Peridual-Katheter) -> Aua! Aber ging noch.

Dann ging es bald los, wurde abgeschossen und ich wachte auf der Intensivstation nach 4 Stunden wieder auf. Torge war schon informiert worden und saß am Bett. Dort auf Intensiv wurde sich auch echt gut gekümmert, sowohl von der Schmerzeinstellung als auch so. Hatte auch nen Heizlüfter am Bett den kompletten ersten Tag, weil ich so gefroren hatte. So viele Kabel, Infusionen, Schläuche, Drainagen – Puh! Aber die wollten auch echt, dass ich schnell wieder hochkomm. Hatte direkt Krankengymnastik mit Aufsitzen usw. Heftig für den Kreislauf. Eigentlich wollten die mich noch etwas länger zur Versorgung auf Intensiv lassen, aber dann wurde der Platz dort knapp und wir wurden plötzlich verlegt auf die normalchirurgische Station. Dabei voll die blöde Sache passiert: Der eine Arzt hatte den Schmerzkatheter mit dem Stopfen verschlossen für den Transport. Und die saublöde Schwester hat das so einfach dann auf der Normalstation angeschlossen, ohne den Stopfen zu entfernen. Bei uns kam dann durch den Stopfen aber natürlich nichts an Schmerzmitteln an. Aber es hieß dann immer, wenn wir sagten: „Ich habe Schmerzen, „Kann gar nicht sein, dass Sie Schmerzen haben, sie bekommen ja das Gleiche wie auf der Intensiv.“ Das war wieder so eine krasse Situation der Ohnmacht und des Ausgeliefertseins gegenüber eines Systems. Glücklicherweise war da noch eine Schwester, die den Fehler Stunden später fand, und das tat so gut, als die Schmerzen endlich nachließen. SCHMERZEN SIND ECHT SCHEISSE! Das ist so eine krasse Erfahrung damit, zumindest von mir als Anteil, und das Heftigste, was ich bisher erlebt habe.

In den folgenden Tagen regenerierte ich mich eigentlich ganz gut. Wir waren sehr motiviert. Es war das mit dem Essen zwar kompliziert, aber erstmal okay. Auch der Schmerzkatheter konnte dann gezogen werden, der Blasenkatheter kam weg. Ich wurde nach und nach mobiler. Doch dann: Übelkeit, Durchfall, leeres Würgen – richtig schlimm. 2 Tage.

Und dann die Hiobsbotschaft: Es wurden vom Pathologen noch Krebsreste im Schnittrand der Speiseröhre gefunden. Empfehlung: Erneute OP. Gerade mal 9 Tage später. Wir waren nur noch taub, machten aber mit.

Diese OP war dann auch noch heftiger. Die mussten bis in den Thorax operieren, durchs Zwerchfell durch, und mussten eine Thoraxdrainage legen (durch die Rippen in den Pleuraspalt = zwischen der Lungenoberfläche und dem Rippenfell). So heftig! Was dieses Teil an Schmerzen gemacht hat, kann ich kaum beschreiben. Da mussten im Krankenhaus auch erstmal Medis gefunden werden, die da halfen. Insgesamt war es bei der zweiten OP deutlich schwerer danach. Aber auch da wurde ich recht schnell von Intensiv auf Normal verlegt und auch da ging deutlich was schief. Und zwar fiel der PDK (der übrigens beim zweiten Mal mega heftig schmerzhaft zu legen war, musste bestimmt 6 Mal gestochen werden, hat immer an den Wirbeln gekratzt, ich  hab so geschrien) aus und die hatten keine Übergabe bzgl. Medis gemacht. Ein Medikament (ein wichtiges) gab es auf der Station nicht. Das wir wirklich der Alptraum. Ich hab sooo gebrüllt vor Schmerzen und die haben einfach nicht wirklich gut reagiert. Irgendwann haben die mich stundenweise mit Dipidolor abgeschossen, aber so richtig die Schmerzmedis hatte ich erst am nächsten Morgen. HEFTIG! Wieder so ne Grenzsituation. So heftig mit unaushaltbaren Schmerzen konfrontiert zu sein.

… Ärger mit der Schmerztherapeutin hatte ich auch noch. Die tat immer so, als stell ich mich an, und war voll unfreundlich. Ich habe nachgefragt… Dafür ist sie wohl bekannt. Und als es mir dann mit ihrem Verhalten reichte, haben wir uns angeschrien. So eine blöde Kuh!

Ach… Und noch was vergessen: Aus dem Bericht des Pathologen geht hervor, dass von 41 Lymphknoten 19 befallen waren, aber alles „nur“ örtlich begrenzt auf das nahe Magenumfeld. Weiter entferntere Lymphknoten waren krebsfrei, was gut ist. Was allerdings auch da stand: Der Krebs ist herdweise noch aggressiver als ohnehin schon vermutet und der Tumor war schon in der äußeren Magenwand – allerdings konnte kein Durchbruch nachgewiesen werden. Und Milz, Leber, Bauchfell und Gallenblase (diese wurde auch entfernt) waren krebsfrei. Der Chefchirurg sagte: „Ungewöhnlich, denn in diesem Stadium ist eigentlich alles voll.

Die Genesung dauerte dann auch, bzw. eigentlich kann man von Genesung nicht reden bisher. Verbesserungen waren erstmal schwer, so ist es wohl treffender ausgedrückt. Ich wurde dann auch parenteral (über den Portkatheter) ernährt, weil ich es oral nicht geschafft habe, genügend Kalorien aufzunehmen.

Aber es standen vor allem die Schmerzen, Bewegungslosigkeit, Verspannungen im Vordergrund. Dann noch ne Lungenentzündung, Pleuraempyem (Eiter in der Pleurahöhle, der durch die Drainage rausgezogen wurde). Ich war echt nur noch am Aushalten und total stumpf gewesen, bis dann plötzlich nichts mehr ging. Ich war nur noch am Heulen und Schreien und bekam dann auch erstmal ein Einzelzimmer für ein paar Tage.

Als dann die blöde Thoraxdrainage nochmal neu gelegt werden musste, weil sie nicht tief genug lag, um all den Eiter abzusaugen, war das nur wieder noch ne Katastrophe obendrauf. Ich traute dem Ganzen einfach nicht mehr, dass bei uns mal was normal laufen würde. Wie zum Beweis: Auch bei dieser OP wieder so eine Grenzerfahrung. Der Operateur fing einfach schon an, an der Drainage rumzufummeln, als wir noch gar nicht schliefen. Da mussten wir wieder rumbrüllen, dass die uns endlich wegschießen sollen. *kopfschüttel* Mann, mann, wieso so ein Mist immer. Na ja, auf jeden Fall brachte die zweite Thoraxdrainage gar nichts mehr. Nicht einen Tropfen hat sie abgesaugt und konnte bald gezogen werden. Was für eine Wohltat. Nach und nach wurde ich wieder beweglicher ohne Schmerzen. Zentraler Venenkatheter, die Bauchdrainage und alle anderen Anschlüsse waren dann auch schon weg. Der Blasenkatheter wurde mir zum Schluss entfernt und es gab erstmal noch ne Blasenentzündung. Und als endlich über eine Entlassung nach 5 Wochen geredet wurde, gab es erstmal dann auch noch ne Nierenbeckenentzündung, wieder Wasser in der Lunge und ne fette Verstopfung. Ich wollte eigentlich nur noch schreien, was ich auch oft genug gemacht habe. Aber am Montag, dem 05.12., konnte ich dann endlich nach Hause. Nach 2 Monaten Horror.

Hier zu Hause ist es aber echt auch noch nicht so easy. Ich pfeife bei den kleinsten Anstrengungen gleich aus dem letzten Loch. Bin kaum belastbar und hatte schon wieder zwei bis drei Mal Mist hier. Erstmal ist mir die Ernährung para, d. h. in die Haut statt in die Vene, gelaufen. Autsch! -> Notaufnahme, neue Portnadel, Kontrolltermin Chefchirurg.

Dann habe ich gerade entsetzliche 3 Tage Kotzen bzw. leeres Würgen mit heftigster Übelkeit hinter mir. Wieder bis zur völligen Erschöpfung, dass Torge mir Medis und Infusionen über Vene geben musste + einem hausärztlichen Notdiensteinsatz.

Und dann lief aus der Einstichstelle am Port seröse Flüssigkeit, wodurch ich Panik bekam. -> Termin im Krankenhaus. Die Ärztin gab jedoch Entwarnung. Das war wohl die Nahrung, die para gelaufen war, und die sich nun den Weg raus suchte. Tja, und seitdem hoffe ich einfach, dass nun endlich mal Ruhe ist, dass wir noch ein bisschen Zeit haben, uns zu erholen. Aber die nächsten Termine sind schon geplant: Magenspiegelung mit folgender Besprechung und Planung für die folgende Chemo.

Die Gutachterin vom MDK war da. Sie war sehr nett und zugewandt. Das Ergebnis ist Pflegegrad 3. D. h. monatlich 545 Euro für Torge. Das ist gut. So kann er jetzt völlig beruhigt Arbeitsstunden reduzieren.

So, ich glaub das war‘s. Sehr, sehr grob, wirklich sehr, sehr grob. Das war schon sehr beeindruckend schrecklich und ist es jetzt auch noch. Ich hab kaum beschreibende Worte dafür. Wenn ich das alles überleben sollte, habe ich nun mindestens ein Trauma dazu durch diesen scheiß Krebs und all die Symptome und Behandlungen. Nur darum kann ich mich gerade nicht kümmern. Oftmals bin ich echt an so ner heftigen Grenze, wo ich denke, ich kann nicht mehr. Und doch muss ich weiter – mittendurch. Ohne Verschonung. Sonst hab ich null Chancen.

Sie wurden auch nun jede Nacht künstlich ernährt über den Port. Ein Pflegedienst kam von nun an jeden Tag.

Erst Wochen später hatten Carlotta & Co das Gefühl, dass ihre Bemühungen etwas bewirkten und sie langsam wieder kräftiger wurden.

Dann standen ja auch die Magenspiegelung und die nachfolgende Besprechung mit der Planung des weiteren Vorgehens an. Nach dem Termin in der onkologischen Ambulanz schrieben Carlotta & Co in ihr Tagebuch:

„Dieser Termin war voll der Reinfall, denn die Onkologin war voll blöde, weil ich das Opipram (mein Psychomedikament) nicht mehr nehmen KANN, weil es das nur als feste Tablette gibt. Sie meinte dann ewig, meine Symptome könnten auch psychosomatisch sein. Klar!!! *kopfschüttel* Was soll ich denn machen, wenn ich das oral alles nicht vertrage. Und die rasten alle aus, weil sie sonstwas von mir denken als Psycho.

Na ja, und dann noch das tolle Ergebnis: Die Chemo wird nicht mehr gemacht, weil ich 1. nicht fit genug bin und 2. weil ich über den Zeitraum raus bin, in dem das sinnvoll/wirksam wäre. Erst dachte ich: Katastrophe, was bedeutet das jetzt? Bin ich zu schwach, schaufle ich mir mein eigenes Grab, nur weil mein Körper nicht mitmachtß Und dann war (und bin!!!) ich auch froh, denn das hätte ich echt nicht geschafft.

In den folgenden 3 Monaten kämpften Carlotta & Co sehr darum, fitter zu werden. Eines Abends schrieben sie in ihr Tagebuch:

„Heute habe ich im Selbsthilfeforum für sexuellen Missbrauch, in dem ich ja nun schon seit Jahren eigentlich über ein anderes Thema schreibe, aber nun auch über meine jetzige Situation, mal meine Symptome aufgelistet. Aktuell wäre es das: *Kraftlosigkeit *geringe Leistungsfähigkeit (Fatigue-Syndrom?) *Verdauungsbeschwerden (aktuell eher Verstopfung) *Darmkrämpfe *Schmerzen *Luft im Bauch *Essensprobleme *Laktoseintoleranz *Einschränkung im linken Lungenflügel (Vernarbung/kann nicht voll einatmen) *Parestäsien in den Fingerspitzen bei Kälte *oft Rücken-/Kopfschmerzen *Einschränkung im linken Bein (immer noch durch den Psoas-Abszess) *die Durchblutungsstörung mit Schmerzen und Krämpfen bei bestimmten Armhaltungen durch den Port. Die Dauerübelkeit ist glücklicherweise durch Umstellung auf laktosefreie Produkte besser geworden.

Und bald ist ja diese Nachuntersuchung, das erste Staging. Ich hoffe so so sehr, dass da keine neue Schreckensnachricht auf uns wartet. Ich möchte mindestens den Frühling und Sommer haben ohne notwendige Behandlung. Bitte, bitte. Hab richtig Angst. Hoffe so sehr, dass ich wieder fit werden darf.

Kurz darauf hohes Fieber (39,8°C) durch eine Portinfektion, woraufhin in Folge der Port entfernt werden musste.

In dieser Portenfernungs-OP mussten Carlotta & Co noch mal eine sehr unschöne Erfahrung mit Fachpersonal machen. Eigentlich waren Carlotta & ihr Team schon mit Ankündigung einer erneut notwendigen OP am Ende ihrer Kapazität des Aushaltbaren angekommen, da sie so langsam dachten, echt vom Unglück und ewigen Komplikationen verfolgt zu sein. Der Umgang und das Einfühlungsvermögen des Anästhesisten ließ bei der Anästhesie sehr zu wünschen übrig. Als nämlich bei der Venenkatheterisierung Carlottas Arm und die Blutstauung plötzlich weh taten und sie in Panik geriet, reagierte er sehr ungehalten und meinte: „Gucken sie sich doch mal Ihre Arme an und am ganzen Körper tätowiert. Und dann stellen Sie sich hier so an?“

Carlotta war geschockt und unterwarf sich augenblicklich und hielt aus, da sie keine Kraft für Widerstand hatte und ihr System entschieden hatte, dass dies wohl der bestmögliche Weg war, um das durchzustehen. Erst später konnte sie ihrem Ärger aufgrund dieser unsäglichen Behandlung Luft machen.

Hier muss erwähnt werden, dass es in Carlotta eine große Gruppe von Anteilen gibt, die alle nur dafür zuständig sind, mit Helferpersonen umzugehen. Es war notwendig auf Carlotta & Cos Weg und ihren Erfahrungen, die sie mit Helfern (manipulativ, gut, übergriffig, gewaltvoll, …) machten, diese Anteile abzuspalten.

Während der 3wöchigen Zeit ohne Port verlor Carlotta über 5 kg Gewicht, weil sie nun durch den fehlenden Port nicht künstlich ernährt werden konnte.

Während des erneuten Krankenhausaufenthalts wurde dann der neue Port gelegt und die erste große Nachuntersuchung erfolgte.

Dieses erste Staging brachte unheilvolle Ergebnisse.

Wieder zu Hause schrieben Carlotta & Co in ihr Tagebuch:

„Supergau. Ich kam aus dem Krankenhaus nach Hause und lese den Arztbrief und denke, mich trifft der Schlag: Im CT-Bericht neben dem Üblichen: Lunge vernarbt, etwas Flüssigkeit im Bauchraum, den möglichen Biliom in der Leber (eine mit Gallenflüssigkeit gefüllte echte oder falsche Zyste)

Dringender Verdacht auf Bauchwandnarbenmetastase mit fraglicher Infiltration (Einwachsung) in den Dickdarm,
Dringender Verdacht auf Kruckenbergtumor (Metastase am Eierstock).

Und kein Arsch hat mir was gesagt. Heftig!

Torge hatte ziemlich bald ne Panikattacke und ist natürlich ziemlich fertig. Und ich war/bin gleich wieder im Taub-Wut-Kampfmodus. Seither noch nicht ein Mal geweint. Hab sofort versucht, jemanden aus dem Krankenhaus ans Telefon zu bekommen. Aber nichts. Alle, die was wissen, im Wochenende. Das war natürlich voll optimal. Mann, mann. Hab dann versucht, mich selbst irgendwie zu informieren im Netz, und was ich da so las, klingt echt nicht so gut. Wenn das alles so stimmt, bin ich palliativ. D. h. es geht nur noch um Lebensverlängerung, nicht mehr um Heilung. Puh! Also irgendwie  – ich werde kämpfen. Egal wie das heißt, bis zu dem Punkt wo ICH/WIR denke/n: Es geht nicht mehr. Das lasse ich mir von keinem anderen sagen!

Und damit saßen Carlotta und Torge nun zu Hause… ein langes, banges Wochenende. Ohne Möglichkeit, irgendwen zu sprechen, der dazu etwas hätte sagen können.

Am Montag war es der Gastroenterologin deutlich unangenehm und sie entschuldigte sich vielmals. Im Krankenhaus war es mal wieder zu Unstimmigkeiten gekommen: Die vorläufigen Ergebnisse des CT waren unauffälig bis auf eine Flüssigkeitsansammlung (Galle) in der Leber. Und das war das einzige, was die zuständige Gastroenterologin noch mitbekam, bevor sie donnerstags ins Wochenende ging. Sie gab den Auftrag an ihre Assistenzärztin, Carlotta & Co am Freitag zu entlassen, sollten die Blutwerte gut sein. Das hatte die Assistenzärztin dann auch gemacht, und in den Bericht dann auch die in der Zwischenzeit eingetroffenen Auswertungen des CTs eingetragen.

Was dies bedeutet, erklärte die Gastroenterologin auch:

Carlotta ist nun nicht mehr im kurativen (mit Chance auf Heilung) Bereich, sondern im palliativen (ohne Heilungsaussicht) Bereich!

Ein Schock!!!

Aber etwas, was Carlotta erstmal nicht so annehmen wollte. Sie kämpfte für weitere genauere Untersuchungen, was aber schwer war durchzusetzen, da für diese Ärzte klar war: Das ist typisch, also ist es so.

Sie schrieb in ihr Tagebuch:

„Puh! Die wollen alle eine baldige palliative Chemo, aber ohne große Chancen auf Heilung, sondern nur Verlängerung. So blöd das klingt: Klarheit ist besser als Wischiwaschi. Aber puh!

Und TROTZDEM – wir werden versuchen, alles zu tun. Solange wir uns nicht aufgeben und relativ positiv bleiben, noch etwas Zukunft rausholen können, machen wir das. Solange es für uns noch geht. Und wenn es nicht mehr lebenswert sein sollte, dann entscheiden wir neu. Möglichweise ziemlich radikal.

Ich bin ja in der Magenkrebsgruppe im Netz. Da sind auch einige Palliativpatienten, und einige leben mit palliativer Behandlung schon mehr als ein Jahr. Andere Glückspilze sind durch die palliative Behandlung sogar wieder operabel geworden und leben nun schon 5 Jahre krebsfrei. Ich weiß, das sind Strohhalme, an denen ich mich festhalte. Aber ich will einfach nicht Panik schieben und denken, dass ich in unmittelbarer Zukunft sterbe. Aber klar gibt es diese Fälle auch. Wo stehe ich?

Jetzt hat gerade die Hausärztin angerufen. Mein Herz klopft. Sie war noch deutlicher. Sie sagt, ich werde in relativ absehbarer Zeit sterben. Es gibt keine Heilungschancen, es gibt nur Verlängerung. Und das wahrscheinlich nur für Monate. Sie sagt, wenn ich nicht so fit und motiviert wäre, würde sie bei jemand anderem sagen: „Sei froh über nen guten Frühling.“ Aber bei mir denkt sie, dass eventuell Weihnachten möglich ist. Aber wenn alles super läuft, eventuell darüber hinaus. Aber keine mehreren Jahre mehr. Es kann sich aber mit ner blöden Infektion komplett ändern das Bild. Festlegen geht bei sowas nicht. Alles Statistik, Kurven. Kurven mit Anfang und Ende. Wo wir uns da in der Kurve befinden, kann keiner sagen.

Ein, zwei Tage später schrieb Carlotta in ihr Tagebuch:

 „Gestern noch alle Dämme gebrochen durch so eine berührende Nachricht von Herrn Willenbrink. Puh! Und seitdem ständig am Heulen. Und das ist zwar echt anstrengend, aber tut auch gut, weil es rauskommt und auch Stress abbaut. Oft weinen Torge und ich auch zusammen und reden echt gut realistisch, ehrlich  miteinander. Das finde ich ganz wichtig!!!

Ich denke gerade halt auch so ganz praktische Dinge wie * Versorgung und Weiterleben von Torge und Henry, wenn ich tot bin *finanzielle Dinge *Sterbeversicherung!? (ich habe herausbekommen, dass sie erst ab November zuteilungsreif ist) usw.

Dann dachte ich noch: Nun muss ich gerade, wenn mein Immunsystem noch mehr kaputt gemacht wird durch die Chemo, noch mehr auf Corona-Schutz achten. Torge hat heute FFP2-Norm-Masken geholt.

Generell finde ich gerade so krass, was an Hilfsangeboten da ist. Ich habe so tolle Menschen um mich: Torge ja sowieso, der tut gerade alles und geht sogar darüber hinaus. Und mein Hund Henry tut auch so gut. Manchmal glaub ich, der spürt das und kuschelt dann extratoll mit mir. Wenn ich aber komisch drauf bin, meidet er mich direkt. Unser Therapeut, Herr Willenbrink, ist auch auch sooo engagiert und dabei. Er macht so viel möglich und es tut einfach gut, da jetzt auch professionelle Begleitung zu haben. Dann auch Dagny, meine ambulante Betreuerin, die macht und organisiert auch sooo viel, ist gerade mehr für Praktisches da, aber sie gibt mir auch ein gutes, emotionales Gefühl. Und auch Insa und Frido sowie Amy und Falkon sind gerade echt sehr da und machen viele Hilfsangebote. Scheiße nur wegen Corona und diesen Abstandsregelungen, Maskenpflicht und meinem speziellen Risiko. Dann ist uns im Laufe der Zeit auch Laura sooo wichtig und eine wahre Stütze geworden. Mit ihr telefonier ich am meisten. Torge sagt schon immer: „Schnattertantenalarm“.  Mit ihr kann man wirklich über alles reden, und das ist so schön, dass es so ausgeglichen ist von Schönem und Schwerem. Echt erstaunlich, wie sich das von einer Forenbekanntschaft bis zur Freundschaft entwickelt hat. Mit Nika ist es auch wieder enger geworden, und es fühlt sich gut an. Und Ute ist zwar im Moment mehr für Torge (von meinem Gefühl her) da, aber mit ihr machen wir immer schöne Strandausflüge.

Und nun nochmal zu Corona:

Trotz mehr Schutzgedanken möchte ich aber auch etwas sagen, wenn es um meine Lebensqualität geht, denn ich möchte noch so einiges: Generell will ich das Positive etwas mehr in den Mittelpunkt rücken. In meinem Selbsthilfeforum habe ich dafür auch einen neuen Beitrag eröffnet, wo ich immer aufschreiben will, was gut war, welche Glücksmomente es gab, wofür ich dankbar bin. Denn ich glaube, mit dieser Fokussierung tu ich mir Gutes. Das Forum und Laura sind auch echt erstaunlich gerade. Puh! Berührend und tut so gut, alles dalassen und besprechen zu dürfen.

Was gerade aber fast nervt (obwohl es ungerecht ist und ich die Leute verstehe), sind die ganzen Nachrichten und Anfragen und Telefonwünsche von Leuten, die wir informiert haben. Die verstehe ich total, aber es geht fast nichts gerade. Besonders heute bin ich ja ständig in Tränen ausgebrochen.

„Generell erfreue ich mich gerade sehr an vielen Dingen, kleinen Sachen, die sehr groß werden.

Sitze momentan auch öfter auf dem Balkon in der Sonne. Tut einfach nur gut. Oft telefoniere ich auch mit Laura, wenn ich draußen sitze. Toller Kontakt geworden. Auch das Selbsthilfeforum tut sehr gut. Ich schreibe da viel. Auch Trauriges. Es ist zum Beispiel ganz schlimm, mit dem Buchprojekt nie fertig zu werden, mit unserer Aufarbeitung, mit uns selbst, mit dem Festhalten unserer Geschichte, unseres Weges… Und auch schlimm ist es, sich so unfertig zu fühlen mit unserem Innenleben. Nie alle gerettet zu haben, kennengelernt, ihnen Heute gezeigt zu haben, DAS ist volle Katastrophe gerade.

Parallel versuchte Carlotta, ihrem Bedürfnis nach einem guten Abschluss durch ganz viele Einzelpunkte gerecht zu werden.

Und zwar:

*Listen: All ihre Nicknames, Passwörter, Codes auf allen Plattformen, Bank etc. aufschreiben *Wer alles benachrichtigt werden soll und wie man die erreicht *Wer was bekommen soll *Was verkauft werden kann *Was weggeworfen werden kann.

Und Fragen:

*Was passiert mit dem Privatesten, Tagebüchern, Therapieunterlagen, Erinnerungsaufzeichnungen, Traumabildern?

Über den vermeintlichen Abbruch des Buchprojekts war sie sehr traurig, versuchte aber, eine Lösung zu finden. Und die Idee entstand, es weniger detailliert, aber dementsprechend schneller zu  schreiben und vielleicht noch zu Ende führen zu können. Laura und Torge boten sich an zu unterstützen, und Pia, eine professionelle Unterstützerin, bot ebenfalls ihre Hilfe an, und der Fonds sexueller Missbrauch würde vielleicht die Kosten, die dadurch entstehen würden, übernehmen.

Durch Pias Unterstützung wurde dem Fonds-Antrag schnell stattgegeben.

In dieser Zeit schrieb Carlotta in ihr Tagebuch:

„Es ist einfach so, so, so viel gerade. Nicht nur, was das alles innerlich mit mir macht, sondern auch ganz, ganz viel im Außen. Ich mach und tu, aber es ist immer noch so viel zu tun: *Die „Erbeliste“ weiter *Kuscheltiere, die wir „vermittelt haben“, versenden *Verkäufe vorbereiten *Aktenablage, Unterlagen, Ordner durchsortieren, evtl. vernichten *Bilder und Bilder-CDs durchsortieren und evtl. vernichten *auch am Computer noch all die Dokumente, Videos durchgucken, entscheiden, was damit passiert, evtl. löschen *Dann am Buchprojekt weiter machen *Unsere Innenliste, die wir nun – und das ist ganz, ganz wichtig – nochmal auf den neuesten Stand bringen wollen und daran weiterarbeiten.

Bin grad ganz zappelig. Wir sind wie Flipperkugeln und dissoziieren ganz viel. Schwer grad. Wirrer Kopf. Viel zu viel. Zu viel vor noch. Zeitdruck. Soooo Angst, gehen zu müssen, bevor das alles in Ordnung ist. Angst, uns aufzulösen. Keinen Sinn gehabt zu haben. Nicht mal irgendwas zu hinterlassen. Stress, weil wir mit der Innenliste nicht fertig sind. Und was mit all dem Traumazeug passiert.

Puh! Wenn man nicht mal weiß, wer dann alles stirbt… Wen es mal gab. Und das ist soooo heftig. Und was macht man mit solchen Zeugnissen, dass es uns gegeben hat? Das Wissen, dass da auch Anteile mitgehen müssen, die nie Helles, nie ein gutes Wort erfahren haben oder nen Namen hatten… Ihre Geschichten gehen verloren. Es fühlt sich so vernichtend an. So tapfere Kämpfer, die sich getraut haben – Wege und Worte gesagt haben – Soll das alles umsonst gewesen sein? Oder nehmen wir uns da gerade zu wichtig?

Und nochmal was anderes: Ich hab immer Angst, meine Zeit falsch zu nutzen. Hab Angst, falsch zu entscheiden, was wichtig ist. Und selbst vielleicht bessere Zeiten zu stehlen durch Rödeln und dann doch nichts zu gewinnen. Gutes, was wichtiger wäre, zu verpassen. Aber wer kann schon in die Zukunft schauen. Hab dieses Gefühl beim Machen oder Rödeln, ob ich nicht Zeit mit Torge und Henry verpasse. Deshalb versuch ich auch, viel nachts zu machen.

Und das Paradoxe an der ganzen Geschichte ist: Alle drumrum bewundern immer meine Stärke, Klarheit, meinen Umgang und das Durchsetzungsvermögen. Das fühlt sich so schräg an und ich versteh die anderen gar nicht. Ich mein, klar, ich mach viel, organisiere viel, versuche, meine Liebsten für später zu versorgen, gehe mit all dem sehr direkt, konfrontativ und keineswegs Kopf-in-den-Sand-steckend um, aber irgendwie denk ich immer, muss ich ja auch. Ohne wäre man doch verloren. Und ja, ganz klar ja, ich hab auch Muffensausen, und trotzdem mach ich all das… Und dafür werde ich von anderen ständig gelobt. Und das fühlt sich komisch an. Weil es gar keine Entscheidung ist, das zu tun. Ich bin einfach so.

Aber Carlotta hatte schon so viele Unmöglichkeiten erlebt, sie bestand auf weitere Untersuchungen und auch eine Zweitmeinung in einer Uniklinik.

Durch all diese Aufregungen und diesem Schwebezustand zwischen Hoffnung und Angst und die Überlastung, durch Corona all das alleine durchzustehen, und auch die Unsicherheit und den Stress durch die Onkologin vor Ort machten sich verschiedene Symptome breit.

Nach diesen schlimmen Tagen schrieb Carlotta in ihr Tagebuch:

„Puh! Das wird nun ein schwieriger, langer Eintrag werden. So viel passiert. Ich hoffe, ich bekomme das überhaupt noch zusammen.

Meine Onkologin ist echt eine Arschkuh! Die kam nicht damit klar, dass ich eine Zweitmeinung wollte. Sie meinte dann, mit ihrem Kram zu pausieren – einfach so. Ich hab ihr erstmal klar gemacht, dass das ich das parallel organisiere. Und sie unterstellt mir, dass ich das alles zeitlich verzögere. Und als ich das revidiert habe und ihr erstmal klar gemacht habe, dass nicht ICH falsch plane, mich verweigere, ist sie ausgerastet. Mann, mann… Und sowas will Onkologin sein?

Das inklusive all der Belastungen und dem Stress haben mich dann so fertig gemacht, dass ich da (meine Vermutung) mit ner extremst heftigen Übelkeitsphase drauf reagiert habe. Obwohl diese geschätzt noch krasser war, als die zuvor (bei denen ich dann ja jeweils ins Krankenhaus ging), haben wir das hier zu Hause mit Torge geschafft. Mit Übelkeitsmitteln intravenös und Flüssigkeitsinfusionen, denn Trinken und Essen war fast eine Woche komplett nicht möglich. Nur würgen, würgen, würgen, Tag und Nacht im Viertel- bis Halbstundenrhythmus. Und das war dann wieder alles so, so schlimm. Es ging aber auch wirklich nichts, GAR NICHTS mehr. Ich war einfach irgendwann fertig mit den Nerven, total erschöpft und übermüdet. Alles war zu viel. Licht, Geräusche, Bewegung, Berührung. Alles zu viel. Nur würgen, Speichel, Schaum, Schmerz, Krämpfe, Schlaflosigkeit -> Erschöpfung de luxe.

Als ich dann so am Ende war, war es auch wirklich sehr sehr tiefschwarz in meiner Psyche. Ich hatte mich wirklich kurzzeitig ergeben. Schotten runter, nur ertragen, kein Kampf mehr. Ich hatte auch, ehrlich gesagt, Panik, dachte, die Übelkeit ist wegen der Metastase, die da jetzt vielleicht den Darm dicht gemacht hat, dass nichts mehr durch geht. Not-OP, künstlicher Darmausgang als letzter Versuch und dann sterben. Horrorszenario.

Wirklich! So düster dachte ich. Hab das aber nicht gesagt. Hab eh viel allein ausgemacht und wollte nur Ruhe und Abstand. Für Torge war das alles auch wieder so schlimm und er meinte ein paar Mal, er kann nicht mehr. Was mir so weh tat, weil ich das als vorwurfsvoll empfand, obwohl ich natürlich weiß, dass er die Krankheit meint, und nicht uns. Aber es ist echt heftig hart manchmal, anderen Menschen, die man lieb hat, so weh tun zu müssen und zu wissen, man ist eine Belastung.

Nach erfolgten Untersuchungen der Uniklinik stellte sich dann wirklich heraus, dass die Onkologin doch Recht hatte, und es war sogar noch schlimmer:

Bauchwandnarben-Metastase mit fraglicher Infiltration in den Dickdarm,
beide Eierstöcke Kruckenbergtumore,
Bauchfell auch betroffen.

Die Uniklinik hatte auch eine Biopsie und Cytologie veranlasst. Nach den Probeentnahmen schrieben Carlotta & Co in ihr Tagebuch:

„Biopsie und Cytologie geschafft! Ich hatte für Torge eine Sonderregelung bekommen, dass Torge  uns begleiten darf (wegen Corona darf ja keiner ins Krankenhaus grad rein eigentlich). Aber das war so gut, dass er dabei war. Ich konnte das ohne Sedierung/Kurznarkose nur mit ein wenig örtlicher Betäubung durchziehen. Aber es war wirklich heftig. Mit ner normal dicken Nadel ca. 7 cm in den Unterbauch durch die Bauchdecke und das Bauchfell durch und 20 ml Bauchwasser abgezogen.

Und dann unter örtlicher Betäubung mit so ner widerlich fies dicken Nadel in den Bauchwandtumor – Stanzbiopsie. Und das Ganze zwei Mal, weil beim ersten Mal kein Gewebe mit raus kam. Als das Ganze geschafft war und ich das Behandlungszimmer verlassen hatte, bin ich erstmal wieder voll zusammengeklappt und habe voll orkanmäßig, hysterisch geheult zur Druckentlastung. Dann wieder zusammenreißen… Generell ist es gerade viel Zusammenreißen. Da geht so viel über unsere Grenzen und wird es zukünftig auch immer weiter. Aber was soll’s. Man kann nur versuchen, das Beste noch rauszuholen. Versuche auch trotzdem immer noch zu gucken, was positiv ist. Und das sind Torge und Henry. Meine kleine Familie. Und die liebe Unterstützung und die Angebote, die ich gerade zuhauf bekomme. Auch dass wir jetzt Hilfe bei der Homepage für das Buch haben und dass unsere Anteilsliste aktualisiert ist. 206+.

Kurze Zeit später waren die Ergebnisse da.

„Schon wieder in kurzer Zeit so viel passiert. Also erstmal kamen jetzt die Ergebnisse der Pathologie 🙁 Sowohl die Bauchdeckenbiopsie als auch das Bauchwasser waren voller Tumorzellen. D. h. all die noch möglichen Auswege, dass es doch etwas besser aussehen könnte, sind nun weg. Und das mit dem Bauchwasser heißt nun zusätzlich wirklich Ceritonealkarzinose, d. h. Bauchwandmetastase, beide Eierstöcke und Bauchfell nun auch noch. Diesen Befund haben wir dann wieder an die Uniklinik geschickt, und diese haben dort in der Tumorkonferenz beschlossen, ich soll nur noch palliative Chemo bekommen, die sog. Folfiri + eventuelle Zusatztherapien. Aber dazu muss das Tumorgewebe noch getestet werden. Was ich darüber so im Netz gelesen haben, war so richtig schlimm und hat mich voll geschockt. Ohne diese palliative Chemo ist die durchschnittliche Überlebenszeit 2 – 3 Monate und mit im Durchschnitt 6 🙁 Somit hat die olle Hausärztin wohl nun doch Recht behalten. Wie gern hätten wir ihr bewiesen, dass sie nicht immer nur nach typisch gucken soll, sondern auch auf Ausnahmen untersuchen soll.) Hab dann voll geheult. Auch weil ein Mitglied aus der Magenkrebsgruppe, mit der wir auch öfter private Nachrichten ausgetauscht hatten, gestorben ist. Unser Weg war so ähnlich und sie war immer 4 Wochen vorweg. Das hat voll Angst gemacht, weil das auch so schnell ging bei ihr. Müssen wir in 4 Wochen sterben? Puh… Seitdem auch ziemlich angeschlagen, weil das nun endgültig so düster aussieht und alle Chancen nun weg sind. Einzige Chance: zügig mit der Chemo starten.

Aber nun mal zum Positiven: Der Fonds hat Rechnungen erstattet und ein liebes Mitglied vom Selbsthilfeforum hat für uns Geld gesammelt. Da ist voll viel zusammengekommen. Davon kann ich was für das Buchprojekt bezahlen und Laura kann zu Besuch kommen. Mal gucken, wie das umzusetzen ist, gerade jetzt mit Corona.

Das Buchprojekt ist auch etwas vorangeschritten. Hmm… nee… eigentlich nur die Website. Aber das wird schön. Nur den Rest zu schreiben in der kurzen Zeit mit fraglicher Verfassung durch die kommenden Chemos, das macht echt Druck.

Druck mach ich mir eh voll extrem. Bin nur am Rödeln und hab kaum Pause. Zwar ist das dann auch gut, so eins nach dem nächsten abzuhaken, aber ich hab immer Angst, gute Zeit nun noch zu verschenken bzw. falsch zu nutzen. Aber morgen fahren wir mit Insa und Frido und Amy und Falkon zum Strand. Nochmal was Schönes vor der Chemo.

Herr Willenbrink kommt nun auch voll oft zu uns und wir machen Doppelstunden Therapie. Das ist heftig anstrengend, aber auch gut. Er so lieb, dass er zu uns fährt. Wir wollen jetzt weitere unsere Anteilsliste durchgehen und jeden Anteil durchsprechen bzw. würdigen. Und ich möchte allen mitteilen, dass ich es so unfair finde, dass unser lebenslanges Kämpfen nur so kurz belohnt wurde. Dass ich es so traurig finde, weil diese Krankheit kein fairer Gegner ist. Weil ich gar nicht gewinnen kann, sondern nur noch um Zeit kämpfen kann. Und ich möchte sagen, dass ich allen Anteilen danken möchte und dass ich trotzdem denke, dass es sich gelohnt hat, uns da früher rauszukämpfen.

Wir werden dann jetzt auch Infos einholen zu Hospizen und was dann möglich wäre… Oder ambulant? Und wir wollen jetzt Kontakt aufnehmen zu nem Bestatter, Urne, Sarg aussuchen, evtl. schreib ich meine Grabrede selbst und ich möchte auch den Friedwald angucken.

Bei dem im Tagebucheintrag erwähnten Ausflug zum Strand fuhren Insa, Frido, Amy, Falkon, Torge, Henry und Carlotta & Co am Friedwald vorbei und waren dann super spontan und hielten dort an. Carlotta & Co sowie vermutlich auch alle anderen waren sehr beeindruckt. Es herrschten eine irre Stimmung und Lichtverhältnisse und dieses Maigrün. Als Torge dann einen Satz aussprach, der die ganze Zeit schon in der Luft lag: „Es ist einfach heftig und traurig, dass das nächste Mal, wenn wir hier alle zusammenkommen, Carlotta & Co fehlen werden und wir hier sind, um ihre Asche zu begraben.“, da ging erstmal bei ausgangslos allen nichts mehr und alle weinten zusammen. Emotionaler Schleudergang, aber auch ehrlich und gut.

Der Ausflug am Strand war aber toll. Das war wieder einer der guten Momente, die Carlotta und Co ja noch sammeln wollten.

Zwei Tage später schrieb sie in ihr Tagebuch:

„Das sieht ja alles nicht so gut für uns aus gerade. Dieser ganze Krebsscheiß ist eine heftige Zeit und völliges Neuland, sowohl auf körperlicher Ebene: nie zuvor so extreme Kraftlosigkeit, Schmerzen, Einschränkungen, Übelkeit, Essens-, Trink-, Schluckprobleme erlebt, als auch auf psychischer Ebene: so krasse Belastung durch Vernichtungsgefühle, Machtlosigkeit gegenüber des Arschlochkrebses, Ängste.

Alles gemein 🙁

Aber ich hoffe zumindest, dass wir das ganz gut machen und dass wir in unserem Leben mit Torge, Freunden und Helfern für diese Situation zumindest gut aufgestellt sind. Ansonsten muss ich immer wieder und wieder und wieder sagen: unfair!

Es ist echt krass, was alles grad passiert ist, zu tun ist in kurzer Zeit. Nur, nur, nur am Rödeln, telefonieren, fürs Buch bzw. Website am Planen, Schreiben, Machen, weiter mit Herrn Willenbrink, mit allen Leuten schreiben, die immer wieder nachfragen, wie es bei uns ist, rumtelefonieren. Dabei kam heraus, dass die Psychoonkologin uns einen Onkologenwechsel empfiehlt.

Wir haben dann nun echt spontan nen Termin bekommen. Dafür muss ich noch Berichte kopieren, Zusammenfassung schreiben, wie das alles genau war.

Was nun auch beschlossene Sache ist: Laura will bald zu Besuch kommen. Das haben wir nun beschlossen trotz Corona. Aber wir wollen das Risiko eingehen, solange es noch einigermaßen gut geht.

Abends bin ich immer so froh, auf dem Sofa zu sein, weil der Bauch voll oft zieht, der Darm krampft, und ich bin oft erschöpft vom Tag. Meist kann ich auch erst abends in Ruhe trinken und essen, und das wirklich minimal, weil das nebenbei tagsüber nicht geht. Ich bin so froh, dass ich nachts die künstliche Ernährung habe und trotzdem versorgt werde. Das mit der Spucke und dem Schaum nervt auch.

Muss nochmal was zur Thera und dem Anteil-Würdigen sagen: Das ist so, so wichtig und gut, aber auch anstrengend. Ich kapiere da auch ganz viel, was da gerade mit uns durch die Krebsanforderungen wie Behandlungen, Klinik, Ärzte, Machtverhältnisse, Schmerzen passiert. Da sind gerade wieder viel die Helfer-Traumaleute gefragt. Insgesamt tut es aber einfach gut, mit Herrn Willenbrink auch immer was zu den Anteilen zu sagen. Gerade hab ich das Gefühl, es ist sehr viel in Bewegung intern.

Ach – und Frau Huskamp will unsere Traumabilder übernehmen, damit die irgendwo sind und nicht von uns vernichtet werden müssen. Die Erinnerungsaufzeichnungen gehen in Kopie an die Aufarbeitungskommission sexueller Missbrauch. Wir brauchen das einfach gerade ganz extrem, dass nicht das Gefühl von „umsonst aufkommt.

Der erste Termin bei Herrn Ibsen, dem von der Psychoonkologin empfohlenen Onkologen, verlief erstaunlich gut und Carlotta & Co waren richtiggehend irritiert über diese ungewohnte Gründlichkeit, so dass sie den Wechsel zu ihm beschlossen. Herr Ibsen machte auch einen sehr schnellen palliativen Chemostart möglich.

Aber die erste Chemo war leider von den Nebenwirkungen sehr, sehr schlimm für Carlotta & Co und sie dachten schon: Das war’s jetzt! Und in ganz tiefer Verzweiflung durch totale Erschöpfung und Übermüdung durch ewiges Würgen dachten sie sogar daran, sich umzubringen, um das Elend zu beenden.

Hier muss einmal erwähnt werden, dass Carlotta und Torge sehr ehrlich, direkt und offensiv mit dem Thema umgehen und auch alles bereden können. Torge würde selbst akzeptieren, wenn Carlotta & Co entscheiden würden, nicht länger leben zu wollen. Das war natürlich ein ganz wertvoller und fester Stützpfeiler für Carlotta & Co.

Erst nach fast 2 Wochen nach der Chemo waren Carlotta und Co fähig, in ihrem Tagebuch zu berichten:

„Schlimme fast 2 Wochen hinter uns 🙁 Es war wieder richtig, richtig heftig und ist bis jetzt nicht ganz auf Normalzustand zurück. Die Chemo habe ich gar nicht gut vertragen. Schon das Vorbereitungszeug vor der Chemo war echt doll von den Nebenwirkungen. Dann die Chemo selbst. Nach ca. 3 ½ Stunden hat mich Dagny abgeholt. Boah… Ich war so breit und Kopfschmerzen und müde. Hab mich dann erstmal zu Hause hingelegt. Bereits nach 6 Stunden ging es sofort los mit krasser Übelkeit und Würgen und ging echt lange weiter. Wurde gar nicht besser über mehrere Tage bis eine Woche… Noch länger… Immer länger… Ich war dann zwischenzeitlich echt fertig und mega down. So erschöpft, weil ich wegen des ewigen Würgens nicht  schlafen konnte. Hätte mir da irgendwer irgendwas zum Umbringen hingestellt, hätte ich mich dazu entschieden. Definitiv! Als dann auch noch Darmkrämpfe und Durchfall dazu kamen, haben wir Herrn Ibsen angerufen. Und der hat Cortison 2 Mal täglich i. V.  angeordnet. Er meinte, dass es nicht an der Chemo liegt, weil diese in der Regel nur 3 bis 4 Tage Nebenwirkungen hat, und dass er eher an eine Transportstörung durch die Metastasen denkt. Das Cortison soll wohl 1. anti-kopfmäßig wirken und 2. abschwellend, falls der Tumor geschwollen ist. Und das machte es auch 🙂 Heute geht uns seit Langem endlich etwas besser und ich spüre etwas Kraft. Konnte somit auch ein bisschen was tun. Sonst lag ich ja nur im Bett. Endlich wieder schön geduscht. Tagebuch geschrieben und allen Leuten Bescheid gesagt. Etwas Schreibkram erledigt. Eigentlich wollte ich die nächste Chemo ein bisschen verschieben, damit wir uns noch erholen können. Aber Herr Ibsen meint, er würde empfehlen, gleich weiterzumachen. Gerade zu Anfang, weil er Angst hat, dass uns sonst etwas entgleitet. Puh… ja… Und obwohl ich schreien, zetern, heulen will, hab ich ja gesagt. Ja, ist okay.“

Während dieser Zeit erfuhr sie viel an Unterstützung, teilweise durch Menschen, von denen sie so etwas nie erwartet hätte. Andere brachen auch weg – aber das waren wenige. Es war wirklich erstaunlich und Carlotta & Co staunten immer wieder, welch tolle Menschen sie um sich geschart hatten. Auch unerwartete Hilfsangebote sowie die bereits erwähnte Spendenaktion eines lieben Mitglieds aus dem Selbsthilfeforum brachten Carlotta immer wieder in eine riesige Dankbarkeit. Sie dachte ganz oft: Womit hab ich das denn alles verdient!? Ich bin doch gar nicht so besonders.

Besonders die finanzielle Situation wurde für Carlotta extrem wichtig, sobald sie erfuhr, dass es in kurzer Zeit vorbei wäre. Sie ertrug es nur sehr schwer zu wissen, dass Torge und Henry, ihre kleine Herzensfamilie, die sie sich immer so sehr gewünscht und nun aufgebaut hatte, dann bald ohne sie wären und sich dadurch zwangsläufig viel verändern würde. Sie könnten die Wohnung nicht halten, müssten umziehen, würden allein (durchschnittlich gerechnet) deutlich weniger Geld haben als zu dritt mit Carlotta. Das alles etwas erträglicher für ihre Liebsten zu machen, machte sich Carlotta zum Ziel. Sie versuchte, Geld auf unterschiedlichste Art und Weise heranzuschaffen. Legte alles fein säuberlich in „Torges Pott“ – ein Portemonaie, das er nach Carlottas Tod erhalten sollte. Sie begann, jegliches Teil der Wohnung in die Hand zu nehmen und zu entscheiden: – verkaufen? – weggeben an wen, der sich vielleicht freut? –ver“erben“? –spenden? –Altkleider? –behalten? –vernichten? ….

Sie veranstaltete ine Großräumaktion, wo sie auch Insa mit einspannte, um Dinge zu verkaufen. Sie nötigte Torge auch immer wieder mitzumachen, wenn es Dinge waren, die Carlotta körperlich zu schwer waren. Eine schwere Zeit für Torge, denn er reagierte auf das alles eher mit Depression und Antriebslosigkeit – wogegen Carlotta & Co in das komplette Gegenteil kippten und oftmals über ihre Grenzen gingen.

Doch das Bedürfnis, alles in Ordnung zu hinterlassen und noch möglichst gut für Torge und Henry zu sorgen, trieb sie immer weiter an, nicht nachzulassen.

All das war Thema, und auch die Entscheidung, unter was für einem Baum sie in dem Friedwald begraben werden wollte, Organisation stundenweiser Entlastungspflege und die Entscheidung, was sie zur Einäscherung an Klamotten tragen wollte, wurde in der Zeit auch getroffen. Der Zeitraum, der hier beschrieben wird, umfasst einen Monat. D. h. Carlotta hatte in der Zwischenzeit schon wieder 2 weitere Chemos erhalten, die sie aber sehr viel besser als die erste vertrug.

Dann bekam sie plötzlich den Wunsch nach guter Zeit. Sie hatte bei einer Freundin auf Facebook traumhafte Fotos gesehen von ihr auf einem Pferd im Meer gesehen. Sie fragte ganz spontan nach, und unglaublicherweise war sehr schnell ein Urlaub von 5 Tagen auf diesem Hof möglich.  Dieser Urlaub war einfach nur ein Traum für Carlotta & Co und sicherlich auch für Torge und Henry. Die Freundin von Facebook sowie ihr Mann und ihre Tochter und die Hofbesitzerin machten Carlotta & Co so viel möglich und hatten immer wieder Überraschungen in petto. Der große Wunsch des Strandausrittes wurde wahr. Sie durfte sogar auf der Traum-Friesenstute Greta reiten. Zuerst war unklar und Carlotta hatte Bedenken, inwieweit ihre Kräfte es zuließen, allein zu reiten. Doch nach kurzer Zeit fühlte sie sich sehr sicher und kräftig genug, frei zu reiten. Sie spürte einen regelrechten Energieschub und hatte die nächsten Tage ein Dauergrinsen im Gesicht. Für Carlotta & Co erfüllte sich ein großer Traum. Sie ritt, und dies sogar in den Gangarten Trab und Galopp, am Strand und im Meer während eines wunderschönen Sonnenuntergangs. Die Fotos und Videos, die dort entstanden, sind Carlotta & Co heute besonders in schweren Zeiten immer wieder ein Kraftanker. Es hatte sich so toll angefühlt und frei und kraftvoll.

Während des Urlaubs wurden aber auch  Grenzen bewusst. Einmal, auf dem Weg zum Strand, knickten Carlotta einfach die Beine weg und sie fiel hin. Und ein anderes Mal musste sie 2 Mal wegen Durchfall ins Feld, weil sie es bis zum Klo nicht mehr schaffte. All das machte Carlotta sehr zu schaffen, weil so deutlich wurde, wie der Körper nachließ.

Auch dieses Buchprojekt hier wurde extrem wichtig für Carlotta & Co. Nach dem ersten Schrecken der palliativen Situation und der Resignation mit „Na, dann wird das alles umsonst gewesen sein“… entstand aber Panik genau deswegen. > Es durfte nicht alles umsonst gewesen sein! Es sollte etwas bleiben! Es sollte Zeugnis ablegen über ihr Leben, über den kurzzeitig gewonnenen Kampf aus gewaltvollen Strukturen hinaus in ein freies, manchmal schon schönes Leben. Es sollte sich gelohnt haben, dass Carlotta & Co sich auf den schweren und anstrengenden Weg gemacht hatten, Therapie zu machen, ihre Vergangenheit zu realisieren, hart zu arbeiten…. und dass sich getraut wurde zu reden. All das sollte bleiben. Einen Platz bekommen.  Und so kam es, dass Carlotta & Co beschlossen, möglichst noch das Buch zu Ende zu bekommen, wenn auch auf anderem Wege als zuvor gedacht.

Carlotta geriet immer wieder unter Zeitdruck, was von all den Dingen, die sie noch vorhatte Vorrang hatte. Sie war zwischenzeitlich sehr gefrustet und genervt, weil das alles nicht so klappte, wie sie es sich gewünscht hätte.

Was allerdings wirklich toll war, war auch hier wieder die Unterstützung von lieben Menschen, die sie entweder finanziell oder wirklich an der Arbeit am Buchprojekt unterstützten. Hier ein Dank an Insa, Laura, Pia und ihren Mann und eine liebe Person aus einem Selbsthilfeforum, die ganz unerwartet einen Spendenaufruf gemacht hat, der Carlotta ermöglichte, Laura noch mal zu sehen und Geld für die Umsetzung für dieses Buchprojekt zu haben. Danke für eure Unterstützung und Hilfe. Ohne euch hätte Carlotta es nicht geschafft, so weit zu kommen.

Auch Herr Willenbrink stellte eine immense Stütze dar während der Zeit und opferte viel seiner Zeit, um noch möglichst alle Wünsche von Carlotta & Co umzusetzen in der verbleibenden Zeit.

Was auch wichtig war: die Selbstbestimmung in dem kompletten Prozess der Beschäftigung mit dem Sterben und auch dem danach. Carlotta ging da sehr direkt, offensiv, konfrontativ, grundehrlich mit sämtlichen Dingen um, die es rundherum zu besprechen oder regeln gab.

Sie wollte bestimmen, wie/wo/auf welche Weise/ in welchen Klamotten/ in welcher Urne/ mit welcher Grabrede… sie begraben werden würde. Sie wollte bestimmen und auch Torge all das im Vorfeld abnehmen, da sie dachte: Er würde es schwer genug haben!

Sie bekam oft die Rückmeldung, sehr stark zu sein und bemerkenswert damit umzugehen. Sie bekam oft Respektsbekundungen, mit denen sie allerdings nicht viel anfangen konnte, da sie dachte : „Ich mach ja gar nichts besonders. Das ist ja keine Entscheidung. Das mach ich ja automatisch so. Ich weiß nicht, was daran so toll sein soll!“

Sie bemerkte aber auch, dass sie wahrscheinlich auch manche Menschen erschreckte mit ihrer offenen Art. Wahrscheinlich waren das Menschen, die sich dem Ganzen eher entziehen wollten wegen ihrer Persönlichkeitsstruktur und ihren erlernten Mustern, unangenehme Dinge lieber wegzuschieben, als sich ihnen zu stellen.

Doch das war alles okay für Carlotta. Sie wusste: Das ist für alle eine schwere Situation, und jeder muss auf seine Art und Weise da durch.

Sie verfluchte natürlich auch oft ihr Schicksal und fragte sich oft, was sie denn wohl verbrochen hätte, wenn sie ständig nur kämpfen müsste und nie mal länger zur Ruhe kommen dürfte und ihre Erfolge und hart erarbeiteten Früchte ernten dürfte. Worte, die sie gern verwendete, waren UNFAIR und UNGERECHTIGKEIT.

Und doch versuchte, sie positiv zu bleiben, was ihr auch meist gelang. Ihr Leitsatz: Stay positive, stay strong and never give up! war oberste Priorität.

Und so konnte sie auch noch viele schöne Momente erleben und sich Wünsche erfüllen.

Es war wirklich eine erstaunliche Zeit, in der das Leben sooo voll war. Es war so komprimiert und gefüllt von wichtigen Themen/Erfahrungen/Gefühlen: * riesiger Dankbarkeit *Zeit nutzen *Freundschaft *Liebe *Familie *positivem Fokus *Essen und dem Versuch, Genuss zu bekommen trotz der eingeschränkten Möglichkeiten *Torge und Henry versorgen zu wollen * Körper und Zuwendung als Entschuldigung *Nutzen von Therapie *Grenzen *Nutzen von Hilfe *Perfektion und *Selbstwert über Leistung.

Was Carlotta am meisten freute, war, dass auch in ihrem Inneren sich viel veränderte. Sie wurden insgesamt durchlässiger, besser miteinander, rückten immer weiter zusammen. Es gab nur noch selten untereinander Stress. Eigentlich war das eine sehr friedliche und erfüllte Zeit, wenn die Ursache nicht gewesen wäre, die natürlich all das erst erforderte.

Sie schrieb in ihr Tagebuch:

„Mit Torge sind wir gerade extrem gut und nah. Das tut richtig gut. Er kann auch etwas entspannen gerade, weil die Chemos immer leichter laufen.

Und intern ist es auch sooo erstaunlich, was da gerade alles passiert. Wir sind uns so nah und die Kommunikation geht echt gut. Und wir achten auf uns. Wow, wow, wow. Keine Ahnung… Irgendwie toll… aber auch traurig, dass es Lebensbedrohung dafür braucht.

Kurz danach konnten Laura und Carlotta den Wunsch umsetzen, sich zu sehen. Das war eine tolle Zeit! Alles erst ermöglicht durch das Überraschungsgeld von der Aktion des Forenmitglieds. Dieses Treffen bedeutete Carlotta & Co sehr viel, da Laura in all der Zeit eine wirklich gute Freundin geworden war.

All das passierte, während alle 14 Tage Chemo stattfand. Mitte Juli 2020 beschloss Carlotta durch eine Empfehlung einer anderen Magenkrebspatientin, Mitte August nochmal in eine Krebsklinik, allerdings am anderen Ende Deutschlands, zu gehen. Doch sie erhoffte sich dort, nochmal neue Ansätze zu finden und gepäppelt zu werden. Und so organisierte sie sich einen Aufenthalt dort.

Parallel arbeitete sie immer weiter an ihrer To Do-Liste mit dem Ziel, für Torge alles organisiert und ordentlich zu hinterlassen. Am Buchprojekt wurde parallel auch immer weiter gearbeitet.