Teil 11 – BREAK

BREAK!!!

Kurzer Zeitsprung in den Juni 2020

Liebe Lesende!
Ihr werdet euch gerade wundern, warum ich, als Erzähler, der euch bisher durch Carlotta & Cos Geschichte geführt hat, so direkt das Wort an euch wende. Ich möchte es erklären. Der Satz: „Es kommt oft anders, als man denkt“ trifft es ziemlich direkt. Genau genommen müsste ich wohl schreiben: „Es kommt oft anders, als man es sich gewünscht hätte“. Carlotta hätte nämlich gerne so wie bisher langsam an ihrem Buchprojekt weitergeschrieben; hätte sich gerne vorsichtig und achtsam mit sich selbst durch all das alte Therapiematerial, die Tagebuchaufzeichnungen, Gedichtordner und zusammengetragenen Erinnerungen gekämpft. Aber so wie es aussieht, wird dies so nicht mehr möglich sein.
Carlotta & Co haben vor jetzt genau 12 Monaten eine schlimme Krebsdiagnose bekommen. Wie zu erwarten hat sie den Kampf aufgenommen und hat die Chemotherapien und OPs hinter sich gebracht. Doch jetzt soll es laut Ärzten nur noch um Zeitverlängerung und nicht mehr um Heilung gehen. Sie wird natürlich weiterhin Behandlungen machen und auch weiterkämpfen, aber die Prophezeiung, dass nicht mehr allzu viel Zeit bleibt, zwingt sie zu dem Schritt, hier an dieser Stelle im Buch einen deutlichen Cut zu machen. Es tut ihr sehr leid, aber es wird nicht so weitergehen wie bisher. Carlotta ist gezwungen, deutlich grober und weniger detailliert zu schreiben, um Zeit zu sparen und um mehr vergangene Lebenserfahrungen in kürzerer Jetzt-Zeit zu beschreiben, um im günstigsten Fall das Buch noch beenden zu können. Ach, aber lassen wir sie doch einfach mal selbst zu Wort kommen.

Liebe Lesende!
Es tut mir wirklich leid. Aber ich werde das so in bisheriger Form und so, wie es geplant war, nicht mehr schaffen. Zuerst dachte ich noch, ich müsste dieses Projekt völlig begraben. Doch das war gedanklich und gefühlsmäßig nach kurzer Zeit eine Katastrophe. Ich bemerkte, WIE wichtig mir… wie wichtig uns… das Schreiben an sich, das parallele (Uns-)Selbst-Bearbeiten von Trauma beim Schreiben und das Festhalten von unserem Leben ist. Mir und uns wurde klar, dass wir nur schwer damit leben können und noch schwerer damit aus dem Leben gehen können, wenn unsere Geschichte nicht erzählt ist; nicht festgehalten ist; wir nicht fertig sind. Fertig mit unserer Geschichte und uns selbst. Denn oftmals haben wir beim Schreiben erlebt, dass wir genau diese Sequenzen, die wir da beschrieben, dann irgendwie integrieren konnten. Wobei integrieren vielleicht der falsche Begriff in seiner therapeutischen Bedeutung ist. Im Klartext: oftmals waren wir, nachdem wir uns noch mal mit der entsprechenden Zeit und all dem Material dazu auseinandergesetzt hatten und es noch mal in Worte gebracht hatten, „fertig“. Es war nicht gut, aber ok. Und das war gut und tat gut. Wir hätten gern unsere komplette Geschichte und den Werdegang genauso wie bisher weiter und zu Ende geführt. Denn ich darf euch verraten, wäre dieser doofe fiese Krebs nicht gekommen, hätte es durchaus wahrscheinlich zum Happy End kommen können. Denn wir als Carlotta und Co haben es wirklich geschafft. Nach zähen Kämpfen und weiteren Stationen, die noch notwendig waren, sind wir heute, und dies bereits seit einigen Jahren, sicher vor Täterkontakten und leben mit unserem Mann und unserem Hund in einer schönen Mietwohnung. Ich möchte nicht zu viel vorweg nehmen… aber es ist es wert gewesen zu kämpfen. Und es ist es jetzt auch wert, weiter für jede Minute Zukunft zu kämpfen. Heute habe ich an vielen Stellen das, was ich früher nie zu träumen gewagt habe. Ja, ich weiß, das klingt vielleicht blöd und unglaublich. Ich hätte damals auch nichts damit anfangen können, hätte mir das jemand gesagt. Vielleicht hätte ich mich für den Jemand dann gefreut. Aber für uns hätte ich das, wie schon erwähnt, nie für möglich gehalten. Und heute möchte ich dieser Jemand sein und euch, die ihr vielleicht noch auf dem Weg seid, trotzdem sagen – ohne dabei den belehrenden Zeigefinger zu heben: Es ist möglich!!! Ich möchte euch selbst überlassen, was ihr mit dieser Aussage macht. Ich würde mich aber sehr freuen, wenn da irgendwo ein Pflänzchen Mut und Hoffnung gesät werden könnte. Denn dann hat meine Geschichte für mich irgendwie einen Sinn und genau deshalb ist es mir so wichtig, dieses Buchprojekt hier zu hinterlassen, sollte ich den zweiten großen Kampf unseres Lebens verlieren. Ich hoffe sehr, dass mir dafür genug Zeit und Kraft bleibt. Denn glücklicherweise gibt es da mittlerweile Menschen und Situationen in meinem Leben, die Priorität haben, noch gelebt zu werden. Wahrscheinlich wird dies nun ein Mondscheinprojekt. Der Gedanke gefällt mir, da ich bis heute eine eher dunkle Seele bin.

Jetzt muss ich grinsen, da Runa und Nadja in mir sagen: „Sehn se Herr Ahlfeld! Noch immer schwarz und trotzdem kein Täterkontakt mehr!“ Jawoll. Sie haben Recht gehabt. Es kommt wohl doch eher auf das Innere an.

Und bevor ich jetzt noch lang hier rede, werde ich an dieser Stelle stoppen und mich mal dem Material zuwenden, welches nun grober formuliert werden möchte.

Ich hoffe und wünsche mir so sehr, dass durch die leider notwendige Grobheit nicht allzu viel verloren geht. Ich hoffe und wünsche mir so sehr, dass es trotzdem nachvollziehbar bleiben wird und ihr Lesende trotzdem weiter „drin“ bleibt in der Geschichte und dem Lebensweg Carlotta & Cos inklusive aller Gefühle, Verwirrungen, Möglichkeiten und Grenzen zu dem jeweiligen Zeitpunkt.

Na dann ran ans Werk!

Tagebuchaufzeichnungen aus der ersten Zeit, nachdem beschlossen wurde, das Buchprojekt noch zu Ende bringen zu wollen:

Seit gestern etwas strange alles. Nacht auch durchgemacht. Nicht viel gepennt.
Wirrer Kopf, viel zu viel, zu viel vor, zu viel soll fertig werden.

Sooo Angst zu gehen, bevor das alles in Ordnung ist.
Angst, uns aufzulösen… keinen Sinn gehabt zu haben. Nicht mal irgendwas zu hinterlassen…
nicht mal mit unserer inneren Innens-Liste sind wir fertig. Und dann heißt es, wir werden sterben. Wenn wir nicht mal wissen, wer da alles gezwungen ist zu gehen… weil wir mit uns noch gar nicht fertig sind.

Ich will so viel noch. Buch schreiben, was hinterlassen. Auch noch mal unsere Liste angucken und notieren… nachtragen
Doch… irgendwie auch: wozu? Wer behält denn so ne Liste? Was macht man mit solchen Zeugnissen, dass es uns gegeben hat!???
Es fühlt sich schlimm an… als wenn da wer gehen muss… und in gewissem Grad/Prozentsatz gehen da Anteile mit, die nie nen Namen hatten vielleicht… oder nie ein gutes Wort, Helles… oder sonst was erfahren haben.
Das fühlt sich vorher schon so vernichtend an.

Und deshalb ist es uns echt ein großes Bedürfnis, möglichst weit zu kommen. Etwas zu hinterlassen. Zeugnis unseres Lebensweges zu hinterlassen und bestenfalls anderen noch zu helfen dadurch, sich vielleicht in unserer Geschichte, unserem Fühlen oder Denken wiederzufinden.